fullscreen: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

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uwendig auf dem Gange der Stadtmauer herumzuspazieren. Gärten, 
döfe, Hintergebäude ziehen sich bis an den Zwinger heran; man sieht 
r tausend Menschen in ihrem häuslichen, kleinen, abgeschlossenen, 
erborgenen Zustande. Von dem Putz- und Schaugarten des Reichen 
ju den Obstgärten des für seinen Nutzen besorgten Bürgers, von da 
zu Fabriken, Bleichplätzen und ähnlichen Anstalten, ja bis zum Gottes-— 
er selbst — denn eine kleine Welt lag innerhalb des Bezirks der 
tadt — ging man an dem mannigfaltigsten, wunderlichsten, mit jedem 
uriu sich verändernden Schauspiel vorüber, an dem unsere kindische 
eugier sich nicht genug ergötzen konnte. 
s Bedeutender noch und in einem andern Sinne fruchtbarer blieb 
uns das Rathaus, der Römer genannt. In seinen unteren ge— 
beuhnlichen Hallen verloren wir uns gar zu gerne. Wir verschafften 
* Eintritt in das große, höchst einfache Sessionszimmer des Rates. 
auf eine gewisse Höhe getäfelt, waren übrigens die Wände sowie 
Wölbung weiß, und das Ganze ohne eine Spur von Malerei oder 
end einem Bildwerk. Nur an der mittelsten Wand in der Höhe 
us man die kurze Inschrift: 
Eines Mannes Rede 
Ist keines Mannes Rede, 
Man soll sie billig hören Beede. 
Nach der altertümlichsten Art waren für die Glieder dieser Ver— 
nmnlung Bänke rings umher an der Vertäfelung angebracht und um 
Stufe von dem Boden erhöht. Da begriffen wir leicht, warum 
Rongordnung unseres Senats nach Bänken eingeteilt sei. Von der 
ir linker Hand bis in die gegenüberstehende Ecke, als auf der ersten 
dank, saßen die Schöffen, in der Ecke selbst der Schultheiß, der einzige, 
n kleines Tischchen vor sich hatte; zu seiner Linken bis gegen die 
sterseite saßen nunmehr die Herren der zweiten Bank; an den Fenstern 
zog sich die dritte Bank, welche die Handwerker einnahmen; in der 
litte des Saales stand ein Tisch für den Protokollführer. 
Waren wir einmal im Römer, so mischten wir uns auch wohl in 
Gedränge vor den bürgermeisterlichen Audienzen. Aber größeren 
; hatte alles, was sich auf Wahl und Krönung der Kaiser bezog. 
wußten uns die Gunst der Schließer zu verschaffen, um die neue, 
ere in Fresko gemalte, sonst durch ein Gitter verschlossene Kaiser— 
pe hinaufsteigen zu dürfen. Das mit Purpurtapeten und wunder— 
verschnörkelten Goldleisten verzierte Wahlzimmer flößte uns Ehr— 
urcht ein. Die Thürstücke, auf welchen kleine Kinder oder Genien, mit 
n laiserlichen Ornat bekleidet und belastet mit den Reichsinsignien, 
gar wunderliche Figur spielen, betrachteten wir mit großer Auf— 
thamkeit und hofften wohl auch, noch einmal eine Krönung mit 
ugen zu erleben. Aus dem großen Kaisersaale konnte man uns nur
	        
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