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Fast jeder Morgen zeigt uns neue Werke des Frostes von
mannigfaltigen Gestalten und Farben, die er in der stillen Nacht ver¬
fertigte. Das Dach ist mit silbernen Eiszapfen umhangen. Die von
den Felsen herabfließenden Regenströme haben ihren Laus vergessen
und bilden an den Wänden, an welchen sie sich ergossen, lange weiße
Säulen, die dent Auge entgegenschimmern. Dann tönt die Erde unter
dem Schritte der Reisenden, und jeder Schall bricht Heller durch die
kalte Luft. Vergebens senken sich die Strahlen des Mittags aus die
versteinerte Erde herab; kaum fühlt sie die schwache Berührung des
erwärmenden Lichtes, und wenn auch das Thal auf einige Stunden
seine Härte erweichen zu lassen scheint, so wiederholt doch bald der
Frost sein kaltes Blasen und zwingt das, was die milde Sonne aus¬
gelöst hatte, wieder unter seine rauhe Herrschaft.
134. Der Wald.
(Ludwig Äriegk.)
Wälder haben mit den Wiesen das Wohlthuende des Grüns
gemein und zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, daß sie, den
Blick begrenzend, dem Menschen nichts als die Natur allein und in
ihrem unveränderten Zustande sichtbar sein lassen. Dazu kommt noch
das Angenehme des Schattens und der Kühlung, die mannigfaltige
Beleuchtung und das wechselnde Helle oder durchaus Dunkle, die
Stille, welche in ihnen wohnt, ihre Unterbrechung durch Vogelgesang
und das Schöne der Baumform, welche in tausend eigentümlichen
Veränderungen auftritt. Die Hauptwirkung des Waldes auf den, der
in ihn eintritt, ist deswegen heiterer Ernst, Beruhigung des innern
Sinnes durch Abschließung gegen das Zerstreuende mannigfaltiger
Gegenstände und durch Umgebung mit einem nur einen Gesamtein¬
druck äußernden Ganzen, lebendiges Gefühl der Natur und ungestörter
Genuß derselben. Die Natur steht in heiterer Größe unserm Innern
nahe, aber ohne dasselbe auszufüllen, und regt seine Thätigkeit an,
ohne ihm bestimmte Gegenstände für sie zu geben. Der Wald ist
daher ebenso die Stätte des Nachdenkens und der Schaffung für den
Philosophen und Dichter, der Sammlung und stillen Selbstbetrachtung
für den nach sittlicher Veredlung strebenden Menschen und des reinsten
und ruhigsten Naturgenusses für jedes einfache Gemüt, jeder Bildung
und Beschäftigung, wie anderseits der Sitz des Unheimlichen und
Schauerlichen und eine nährende Quelle des Aberglaubens. Aber wie