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So finden wir fast noch alles so, wie zu den Zeiten des Tacitus;
ein Fortschritt in Bezug auf Bildung oder Humanität ist kaum zu spüren.
In wie kurzer Zeit wirkte auch hier der Sauerteig des göttlichen Wortes
umgestaltend und veredelnd!
b) Zerstörung des Longobardenreiches (773—774).
Pippin hatte bei seinem Tode zwei Söhne hinterlassen, unter die er
das Frankenreich in der Weise geteilt hatte, daß Karl den nördlichen und
der andere Sohn Karlmann den südlichen Teil erhielt. „Nur mit der
höchsten Not wurde der Frieden zwischen ihnen aufrecht erhalten"; doch
schon im Jahre 771 starb Karlmann. Da erschienen die Bischöfe und
Großen aus dem andern Teil des Frankenreiches vor Karl und baten
ihn, auch die Herrschast über den andern Teil zu übernehmen und so
das Reich wieder zu vereinigen. Karl willfahrte ihrer Bitte.
Die Gemahlin und die Söhne Karlmanns hatten sich nach Italien
zum Könige Desiderins vom Longobardenreich begeben und dort freund-
liche Aufnahme gefunden. Desiderins wollte die Söhne Karlmanns zu
Frankenkönigen erheben, und sich so an Karl rächen; denn dieser war mit
einer Tochter des Desiderins verheiratet gewesen, hatte sie aber nach
einem Jahre wieder dem Vater zurückgeschickt.
Er stellte nun an den Papst Hadrian das Verlangen, daß er die Söhne
Karlmanns zu Köuigen salben sollte; allein, da der Papst ein entschiede-
ner Gegner der Longobarden und ein Freund Karls war, willfahrte er
nicht diesem Wunsche. Da bedrängte ihn Desiderins so mit seinen Kriegs-
scharen, daß er schleunigst Karl um Hilfe anrief. _ Karl suchte zunächst
auf friedlichem Wege Desiderins von Rom abzuziehen. Als ihm dies
aber nicht gelang, beschloß er den Krieg gegen die Longobarden.
In Genf sammelte er ein zahlreiches Heer, teilte es in zwei Teile,
von denen er den einen über den Mont Cenis führte, während sein Oheim
Bernhard den andern über den Berg führte, der nach ihm den Namen
„der große St. Bernhard" erhalten hat. Vor den Klausen vereinigten
sie sich wieder, um die hier aufgestellten Longobarden zu vertreiben; doch
lange scheiterten alle ihre Bemühungen an der Tapferkeit der Longobarden
in ihrer fast uneinnehmbaren Stellung. Endlich gelang es einer anser-
lefenen Schar, die Longobarden zu umgehen; nunmehr sahen sich letztere
genötigt, den Rückzug anzutreten. Karl folgte mit den Seinen und Jchloß
nach mehreren glücklichen Kämpfen Desiderins in seiner stolzen Haupt-
stadt Pavia ein.
Während sein Heer so den Longobardenkönig umzingelt hielt, eilte
König Karl nach Rom. Er wurde hier als Erretter sowohl vom Papst
als von der Bürgerschaft mit großen Ehren empfangen. Dem Papste
bestätigte er die Schenkungen seines Vaters; jedoch wachte er eifersüchtig
darüber, daß der Papst in weltlichen Dingen sein Vasall bliebe, und be¬
hielt sich das Recht vor, die Papstwahl zu genehmigen oder zu verwerfen.
Nachdem er zu seinem Heere zurückgekehrt war, gelang es ihm bald,
sich der Stadt Pavia zu bemächtigen. Der stolze Desiderins wurde
gefangen genommen und nach Franken geführt, wo er in einem Kloster