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Waren über Land fahren? Unb wer mochte ba Vorräte anfertigen?
So kam es, baß selbst reiche _ Kaufherren zn Bettlern mürben unb ber
blühenbe Wohlstanb ber beutfchen Stäbte fast ganz verloren ging. Die
Nachbarvölker, Hollänber, Franzofen unb Englänber, benutzten biefe un¬
glückliche Lage Dentschlanbs unb riffen ben Hanbel an sich; ebenso über¬
flügelten sie in ber nächsten Zeit bie Deutschen in vielen Gewerben.
Auch bie Herren, Ritter unb Fürsten, waren verarmt; ber Krieg
hatte viel gekostet unb bie Einkünfte waren fehr gering gewesen. Als bie
Not brücEenber würbe, griffen sie zu einem verzweifelten Mittel: sie schlugen
falsches Gelb. Währenb bes Krieges war schon viel minberwertiges Gelb
im Umlauf gewesen; jetzt ließen auch viele Herren aus einer Mischung
von wenig Silber unb viel Kupfer, manchmal sogar ans Blech Münzen
prägen („Kipper unb Wipper'). Anfangs hatten biefe schlechten Münzen
Zwangsconrs, ba sie niemanb freiwillig annehmen wollte; später weigerte
sich bie Behörbe sie zurückzunehmen, bie Abgaben mußten in vollwertiger
Münze entrichtet werben.
In biefer allgemeinen Not verwilberten viele unb führten — ähnlich
ben entlassenen feölbnerhaufen — ein keckes Ränberleben; noch einige
Jahre nach beut westfälischen Frieben mußten beshalb bie Reisenben be-
waffnet sein, ja sogar entfernt liegenbe Ortschaften waren bebroht unb
mußten Wächter ausstellen.
c) Einfluß des Krieges auf die Sittlichkeit.*)
Noch größer als bie Verluste an Leben unb Gut sinb bie Ver-
änberungen, welche ber Krieg in bem geistigen Leben ber Nation gemacht
hat, vor allem bei ben Lanblenten. Viele alten Bräuche gingen zu Grunbe;
bas Leben würbe leerer unb leibvoller. An bie Stelle bes alten Haus-
rates sinb bie rohesten Formen moberner Möbeln getreten; bie kunst-
reichen Kelche unb alten Taufbecken, fast aller Schmuck ber Kirchen war
verfchwunben, eine geschmacklose Dürftigkeit ist ben Dorfkirchen bis jetzt
geblieben. Mehr als hunbert Jahre nach bem Kriege vegetierte ber Bauer
fast ebenso eingepfercht wie bie Stücke feiner Heerbe, währenb ihn ber
Pfarrer als Hirte bewachte unb burch bas Schreckbilb bes Höllenhunbes
in Drbnung hielt, unb ber Gutsbesitzer unb sein Laubsherr ihn alljährlich
abschor. Eine lange Zeit bumpfeu Leibens. Die Korttpreife waren noch
50 Jahre nach bem Kriege niebriger als vorher; bie Lasten, welche auf bie
Grunbstücke gelegt waren, aber so hochgesteigert, baß noch lange ber Acker
mit Hans unb Hos geringen Wert hatte, zuweilen umsonst gegen bie
Verpflichtung gegeben würbe, Dienste unb Lasten zu tragen. Härter als je
mürbe ber Druck ber Hörigkeit, am ärgsten in ben früheren Slaveulanbern,
in benen ein zahlreicher Abel über ben Bauern saß (ber übermütige „Junker").
Häufig beklagt sinb bie Schüben ber Bilbuug, welche in ben ausge-
plünberten Stäbteu unb Rittersitzen zu Tage kamen; zunächst wieber Luxus
ibestmbers in ber Kleibung: „ber Höfenteufel", bie „Plnberhofen" Oer--
schlangen wohl über 60 Ellen Zeug. Nach bem Kriege kam bie steife
*) S. Freitag, III. S. 239 ff.