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Erster Zeitraum. Geschichte der Germanen
getreten. Infolgedessen wurde das römische Weltreich, das um 410 noch immer
etwa \y2 Million Quadratkilometer umfaßt hatte, ohne besondere Mühe bald
darauf eine Beute der anderen germanischen Wandervölker.
Oer im vergleich zu den Goten wesentlich schwächere Stamm der Burgun-
der brachte es zur ersten selbständigen Reichsgründung auf römischem Boden.
Es war sein Verhängnis, daß er in Keims, dem letzten hervorragenden Verteidiger
der Größe Roms nach Stilichos Tode, einen Gegner fand, der nicht eher ruhte,
als bis er mit hunnischer Hilfe die Blüte des jungen ostgermanischen Staatstoetens.
auf dem Boden der heutigen Rheinpfalz geknickt und die wehrfähige Manff-
schaft des Stammes fast vernichtet hatte. Don diesem Schlage erholte sich das
Volk erst im verlaufe von mehr als 100 Jahren in der Abgeschiedenheit seiner^
neuen Wohnsitze am Doubs und der oberen Rhone in dem Grade, daß es zur'
Zührung einer bescheidenen politischen Rolle im Zeitalter der Merowinger
wieder befähigt war.
Während aber die Erinnerung an das Ringen der Westgoten mit den
Römern, während selbst eine Heldengestalt wie Kl mich dem Bewußtsein der
Deutschen im Mittelalter fast spurlos entschwunden war, überdauerte die tiefe
Wirkung des Unterganges der Burgunder und ihres Königs ©unöifar samt allen
seinen Geschlechtsgenossen viele Jahrhunderte, bis das Ereignis im Rahmen des
Nibelungenliedes eine ergreifende poetische Gestaltung erfuhr.
Den langsam vom oberen Main in westlicher Richtung vordrängenden Burgundern
waren Scharen von Wandalen, Alanen und Sueben vorangegangen, bfe nach mehr¬
jähriger Plünderung Westgalliens (um 409) den Marsch nach Spanien antraten, wo sie
mit Ausnahme der nach Afrika weiterwandernden Wandalen später zum größten Teile
unter die Herrschaft der Westgoten gerieten. Die Burgunder gründeten um 411 rechts
und links des Rheines ihr erstes Reich mit der Hauptstadt Worms. Ein Kreundschaftsver-
trag mit dem Kaiser honorius sicherte im Anfange dem jungen Staatswesen eine ruhige
Entwicklung.
Infolge der burgundischen (Eroberungslust erblickte aber später fletius im Burgunder-
reiche eine Bedrohung seiner römischen Provinz Gallien, stellte starke Scharen von Hunnen
in seinen Dienst und bereitete mit deren Hilfe dem „Ribelungen"-Reiche des Gundikar
437 den Untergang.
3m Gebiete vonBefangon und Genf fanden die Reste des Stammes neue Wohnsitze,
von denen aus sie in langsamem Vordringen über Lyon an der Rhone entlang die Mittel-
meerfuste erreichten. Bis ins 6. Jahrhundert hinein erhielten sie sich ihre Selbständigkeit.
Dann wurde ihr Reich eine Beute der eroberungssüchtigen Söhne des Franken Chlodwig
(vgl. S. 51). Im Laufe der Jahrhunderte sind die Burgunder restlos in der gallisch-römischen
Mischbevölkerung aufgegangen. Sie haben sich auch dann viel mehr zu den Franzosen
als zu den Deutschen hingezogen gefühlt, als im 11. Jahrhundert (1033) aus dynastischen
©runden die Vereinigung des neuen burgundischen Königreichs mit dem deutschen König¬
tum erfolgte.
5. Die Burgunder.
vgl. Lehrbuch Bd. I, S. 20. 23.
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