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hätte doch seine Arbeit nicht einmal angefangen noch angerührt. Auf die
Wolle sieht man wohl, aber auf die Wohlfahrt der Schafe achtet niemand.
Der Adel deutscher Nation dünkt sich dazu gut zu sein, daß sie jagen,
müßiggehen oder Reiterei oder Federspiel treiben, schämen sich auch gar sehr,
gewöhnliche Bürger zu sein und sich dem gemeinsamen Rechte der Stadt zu
fügen oder etwa Kaufmannschaft oder Handwerk zu treiben oder eine Bürgerin
zu heiraten. Sie fliehen auch der Bürger Gesellschaft und Hantierung, halten
sich zusammen, wollen nur mit ihresgleichen in Gesellschaft sein, nur ihres¬
gleichen heiraten.
Ihre Wohnungen sind feste Schlösser an Bergen, Wäldern usw. Sie
halten prächtig Haus mit vielerlei Gesinde, Pferden, Hunden und mit allerlei
Schmuck, sie haben einen besondern prangenden Gang und immer einen Nach¬
trab von Verwandten bei sich. Ihre Wappen hängen sie in den Kirchen an
die Wände und an die Altäre. Vielen kommt ihr Adel nicht wie die Alten
von Tugend und von tapferen Taten, sondern von Geburt her. Anmut
halten sie für gar schändlich, sie begeben sich lieber in allerlei Gefahr, um
Ehre und Gut zu erlangen, wie sie nach ihrer Meinung ihrem Stande zu¬
stehen. Viele ziehen in den Krieg, Fürsten und Herren nach. Gerät ihnen
da eine Beute, daß sie reich wieder heimkommen, so dünken sie sich recht edel.
Sie gehen selten zu Fuß übers Feld, denn sie erachten das ihrem Stande
schändlich. Wenn sie verletzt oder angegriffen werden, rächen sie sich selten mit
Recht, sondern viele brechen etwa eine Fehde vom Zaun, sagen ab mit Feindes¬
briefen, führen Krieg und rächen sich mit Feuer und Raub.
2. Die Bürger.
Sebastian Franck a. a. O. H. Kurz ct. a. O. S. 174ff.
Der dritte Stand sind die Bürger oder die Stadtleute; deren sind etliche
dem Kaiser, wie in den Reichsstädten, etliche den Fürsten verpflichtet, etliche
sind für sich, wie in der Schweiz und in den Freistädten. Ihr Gewerbe ist
mancherlei und künstlicher als bei irgend einem Volke auf dem Erdreiche.
Wiewohl vor Zeiten Barbaren und ein ungeschicktes, kunstloses, wildes,
ungezährntes, kriegerisches Volk, sind sie doch jetzt ein weltweises, kunstreiches
Volk, dazu zu allen Händeln kühn und geschickt.
Weiter ist auch in mächtigen Freistädten und Reichsstädten zweierlei Volk:
gemeine Bürger und die Geschlechter, die etwas edel sein wollen und auf
adlige Manier von ihren Renten und Zinsen leben. Sie leiden keinen gemeinen
Bürger in ihrer Gesellschaft, ob er ihnen gleich an Reichtum gleichkommt,
heiraten auch ebensowenig als der Adel unter sie, sondern gleich zu gleich
heiratet, wer nicht ein Auswurf und nicht verschmäht sein will. Doch haben
sie ein Recht, und ist kein Teil dem andern unterworfen.
Dies Volk lebt untereinander freundlich auf gemeinen und besonderen
Plätzen. Da kommen sie zuhauf, reden, hantieren und laden einander. Die
Kleidung ist alle Tage neu. Nicht lange, noch bei Menschengedenken, trug
man spitzige Schuhe mit langen Schnabeln, kleine, enge, kurze Kleider, Kappen
mit Zotten; jetzt ist alles anders und umgekehrt, weit, groß, die Schuhe breit.
Der Weiber Kleidung ist jetzt kostbar,,, aber ehrbar gemacht und wenig zu
tadeln, ausgenommen den fürwitzigen Überfluß.
In Messe hören und lesen lassen ist es ein andächtig und abergläubisch