Full text: Quellenbuch für den Geschichtsunterricht in Seminaren (Teil 3)

— 172 — 
hätte doch seine Arbeit nicht einmal angefangen noch angerührt. Auf die 
Wolle sieht man wohl, aber auf die Wohlfahrt der Schafe achtet niemand. 
Der Adel deutscher Nation dünkt sich dazu gut zu sein, daß sie jagen, 
müßiggehen oder Reiterei oder Federspiel treiben, schämen sich auch gar sehr, 
gewöhnliche Bürger zu sein und sich dem gemeinsamen Rechte der Stadt zu 
fügen oder etwa Kaufmannschaft oder Handwerk zu treiben oder eine Bürgerin 
zu heiraten. Sie fliehen auch der Bürger Gesellschaft und Hantierung, halten 
sich zusammen, wollen nur mit ihresgleichen in Gesellschaft sein, nur ihres¬ 
gleichen heiraten. 
Ihre Wohnungen sind feste Schlösser an Bergen, Wäldern usw. Sie 
halten prächtig Haus mit vielerlei Gesinde, Pferden, Hunden und mit allerlei 
Schmuck, sie haben einen besondern prangenden Gang und immer einen Nach¬ 
trab von Verwandten bei sich. Ihre Wappen hängen sie in den Kirchen an 
die Wände und an die Altäre. Vielen kommt ihr Adel nicht wie die Alten 
von Tugend und von tapferen Taten, sondern von Geburt her. Anmut 
halten sie für gar schändlich, sie begeben sich lieber in allerlei Gefahr, um 
Ehre und Gut zu erlangen, wie sie nach ihrer Meinung ihrem Stande zu¬ 
stehen. Viele ziehen in den Krieg, Fürsten und Herren nach. Gerät ihnen 
da eine Beute, daß sie reich wieder heimkommen, so dünken sie sich recht edel. 
Sie gehen selten zu Fuß übers Feld, denn sie erachten das ihrem Stande 
schändlich. Wenn sie verletzt oder angegriffen werden, rächen sie sich selten mit 
Recht, sondern viele brechen etwa eine Fehde vom Zaun, sagen ab mit Feindes¬ 
briefen, führen Krieg und rächen sich mit Feuer und Raub. 
2. Die Bürger. 
Sebastian Franck a. a. O. H. Kurz ct. a. O. S. 174ff. 
Der dritte Stand sind die Bürger oder die Stadtleute; deren sind etliche 
dem Kaiser, wie in den Reichsstädten, etliche den Fürsten verpflichtet, etliche 
sind für sich, wie in der Schweiz und in den Freistädten. Ihr Gewerbe ist 
mancherlei und künstlicher als bei irgend einem Volke auf dem Erdreiche. 
Wiewohl vor Zeiten Barbaren und ein ungeschicktes, kunstloses, wildes, 
ungezährntes, kriegerisches Volk, sind sie doch jetzt ein weltweises, kunstreiches 
Volk, dazu zu allen Händeln kühn und geschickt. 
Weiter ist auch in mächtigen Freistädten und Reichsstädten zweierlei Volk: 
gemeine Bürger und die Geschlechter, die etwas edel sein wollen und auf 
adlige Manier von ihren Renten und Zinsen leben. Sie leiden keinen gemeinen 
Bürger in ihrer Gesellschaft, ob er ihnen gleich an Reichtum gleichkommt, 
heiraten auch ebensowenig als der Adel unter sie, sondern gleich zu gleich 
heiratet, wer nicht ein Auswurf und nicht verschmäht sein will. Doch haben 
sie ein Recht, und ist kein Teil dem andern unterworfen. 
Dies Volk lebt untereinander freundlich auf gemeinen und besonderen 
Plätzen. Da kommen sie zuhauf, reden, hantieren und laden einander. Die 
Kleidung ist alle Tage neu. Nicht lange, noch bei Menschengedenken, trug 
man spitzige Schuhe mit langen Schnabeln, kleine, enge, kurze Kleider, Kappen 
mit Zotten; jetzt ist alles anders und umgekehrt, weit, groß, die Schuhe breit. 
Der Weiber Kleidung ist jetzt kostbar,,, aber ehrbar gemacht und wenig zu 
tadeln, ausgenommen den fürwitzigen Überfluß. 
In Messe hören und lesen lassen ist es ein andächtig und abergläubisch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.