§ 105. Kaiser Wilhelm II. 487
f. Bildung und religiöses Leben. Um das Volk über die Irrlehren
der Sozialdemokraten aufzuklären, dazu soll auch die Schule mitwirken;
daher hat der Kaiser (durch Erlaß vom 1. Mai 1889) angeordnet, daß
vor allem der Religions- und der Geschichtsunterricht fruchtbarer gemacht
werde als bis dahin. Der 1892 von dem Kultusminister von Zedlitz vor¬
gelegte, in streng kirchlichem Sinne gehaltene Volksschulgesetzentwurf erregte
heftigen Widerspruch der liberalen Parteien, so daß der König selber Ein¬
griff und Zedlitz entließ. Damit die Volkssckiullehrer. denen mehr als neun
Zehntel aller Schulkinder anvertraut sintC ihre Aufgabe desto freudiger und
sicherer erfüllen können, hat er ihnen ldurch ) ein festes,
auskömmliches Gehalt und ihren Witwen und Waisen idurch Gesetz von 9
1899) eine angemessene Versorgung gesichert. Den Lehrerseminaren ist das
Recht verliehen, ihren abgehenden Zöglingen das Reifezeugnis für den
Einjährig-Freiwilligendienst auszuftelleu, und ihrem Unterrichte sind durch
die Lehrpläne vom 1. Juli 1901 wesentlich höhere Ziele gesteckt worden.
Auf den Gymnasien wird jetzt dem deutschen Unterricht größeres Gewicht
beigemessen als früher. Die Bedeutung der fürs praktische Leben so
wichtigen Unterrichtsfächer, wie Mathematik, Naturwissenschaften, Technik
und lebende Sprachen, hat der Kaiser dadurch anerkannt, daß er die
technischen Hochschulen den Universitäten, die Oberrealschulen den Gym¬
nasien gleichgestellt hat. Sein Verdienst ist es auch, daß jetzt nicht nur
ans den Schulen, sondern auch von der erwachsenen Jugend auf körper¬
liche Übungen weit größeres Gewicht gelegt wird als sonst. — Zur Pflege
der Wissenschaft hat der Kaiser die Ausgrabungen in Troas und bei
Magnesia in Kleinasien, ferner die Erforschung der ägyptischen und
der römischen Geschichte sowie den Wiederaufbau der in dem römischen
Grenzwall (limes) gelegenen Saalburg durch Beihilfen gefördert; ebenso
hat er für den in Pergamnm in Kleinasien ausgegrabenen berühmten Zeus¬
altar in Berlin ein besonderes Museum erbauen lassen.
Die Kunst besitzt in Kaiser Wilhelm einen begeisterten Verehrer und
einen freigebigen Förderer, ist er selber doch nicht nur Kunstkenner, son¬
dern auf dem Gebiete der Musik und Malerei auch ausübender Künstler.
In hochherziger Weise hat er der Stadt Berlin eine ganze Straße
— die Siegesallee im Tiergarten —• mit 32 Marmorstandbildern der
Landesherren von Albrecht dem Bären bis zu Wilhelm dem Großen
schmücken lassen; jedem zur Seite stehen kleinere Büsten zweier hervor¬
ragender Zeitgenossen (Fig. 66). Von den vielen während der Regierung
Kaiser Wilhelms aufgeführten großen Bauten seien erwähnt das Reichstags¬
gebäude, das Reichsgerichtsgebäude (Fig. 59), das neue Abgeordnetenhaus,
die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und der Dom in Berlin (Fig. 60).
Kaiser Wilhelm ist ein frommer Christ; das beweisen zunächst die
vielen Kirchenbanlen, die ihm ihren Ursprung verdanken, vor allem die