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Seitdem trennte sich die Thätigkeit des Schauspielers von der des Dichters, 
mnd die Kunst des erstem erhielt eine selbständige Bedeutung. Tem Chore 
ivurde eine ruhigere Stellung außerhalb der Handlung angewiesen, und das 
^eigentliche Dramatische trat nun bedeutungsvoller als der Kern der Tragödte 
hervor. Aischylos selbst erkannte den Fortschritt der Kunst an; denn er 
nahm nicht bloß die äußerlichen Vervollkommnungen der Tragödie an, son¬ 
dern erhob sich, durch den jungem Nebenbuhler gefördert, selbst zu einer 
reifern Kunst des Dramas 
Sophokles war so wenig wie Aischylos dem öffentlichen Leben iremo, 
-aber er war ganz Dichter und hatte keine Neigung, sich durch Staatsgeschäste 
und Parteitreibett die heitere Ruhe seines Geistes trüben zu lassen. Jon 
von Chios schildert uns den Dichter, wie er ihn als 55jährigen Mann und 
zwar als attischen Strategen getroffen und in ihm einen beim Weine luftigen 
Mann und liebenswürdigen Gesellschafter gefunden habe, der selbst über seine 
Feldherrnwüroe allerlei Spaß machte. Nichtsdestoweniger war auch seine 
Kunst getragen von der großen Zeit, in welcher Athen seine Macht über 
alle Küsten des Archipelagus ausbreitete, und in demselben Maße, wie Athen 
an eigener Geschichte und selbständiger Politik vorgeschritten war, war er 
auch mehr Athener und selbständiger Patriot als Aischylos, dem noch das 
gemeinsam Hellenische näher am Herzen lag. Sophokles trug dazu bei, daß 
attische Stoffe mit Vorliebe behandelt wurden; sein „Triptolemos" feierte Attika 
als die Heimat höherer Bildung, die sich von hier über ferne Länder siegreich 
ausbreitete; der Ödipussage giebt er auf attifchem Boden, in seinem Heimats¬ 
gaue, einen versöhnenden Abschluß, und den Standpunkt des Atheners zeigt 
auch die „Elektra", indem als Zielpunkt der Handlung der Sturz einer 
gesetzwidrigen Herrschaft, die Erkämpfung der Freiheit, dargestellt wird. Seine 
Tragödien trugen vor allen andern Werken dazu bei, der Zeit der äußern 
Macht und Herrlichkeit Athens eine innere geistige Bedeutung zu geben, wie 
es das Streben des Perikles war. Er suchte, wie dieser, die alten Gottes¬ 
dienste und Sitten des Landes, die ungeschriebenen Satzungen des heiligen 
Rechts, in Ehren zu erhalten, aber zugleich jeden Fortschritt geistiger Bildung 
und jede Erweiterung des Gesichtskreises sich anzueignen. Die Sprache des 
Dichters bezeugt eine ausgebildete Kraft des Verstandes, welche sich im ge¬ 
drungenen Ausdrucke oft bis an die Grenze der Faßlichkeit wagt; aber 
zugleich weiß er den Reiz der Anmut zu bewahren, und ein Geist glücklicher 
Harmonie geht durch alle seine Werke hindurch. Er war ein Mann nach 
dem Herzen des Perikles, und daß er zu diesem in persönlich nahem Ver¬ 
hältnisse stand, beweist die heitere und ungezwungene Art, mit welcher der 
Staatsmann den Dichter als seinen Mitfeldherrn im Heerlager behandelte.
	        
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