Pflanzung und Ausbreitung des Christentums. 119
vergessen, hatten die Heiden sogar einen Altar für den „unbekannten Gott."
Darum nennt Paulus sie „allzu abergläubisch" (wörtlich „allzu götter-
fürchtig.") Die Zahl ihrer Götter war sehr groß: es gab eine Göttin,
welche die Geburt des Kindes überwachte, eine andere, welche es gehen
lehrte; ein Gott lehrte es stammeln, ein anderer reden; ja, man hatte
Götter für die Schwelle des Hauses und für die Angel in der
Thür. Jeder Stand hatte seine Götter, die er anrief; der Schiffer den
Neptun, der Kaufmann den Merkur. Selbst oben ans dem St. Bern-
hard kehrte der Wanderer in den Jupitertempel ein. Diese große Zahl
der Götter wurde noch dadurch vermehrt, daß man auch die Götter der
fremden Völker in Rom einführte. Durch eine feierliche Formel
wurden sie nach Rom gerufen und hier verehrt.
Äußerlich beugten sich um Christi Gebmt noch fast alle vor den
Göttern; innerlich aber war bei vielen der Glaube schon erschüttert.
Es traten in Rom Männer auf, welche die Lehre von den Göttern
angriffen. Strabo, ein römischer Schriftsteller um Christi Geburt,
schreibt: „Der unvernünftige Haufe wird mit den Götterfabeln wie die
Kinder gelockt. Der Donnerkeil und der Dreizack der Götter sind Fabeln,
wie die ganze alte Götterlehre." Ja, die Götter wurden in Rom in
Schauspielen öffentlich verspottet. Dasselbe war früher in Griechenland
geschehen.
Die heidnische Religion litt namentlich auch dadurch, daß man an-
fing, auch den Kaiser göttlich zu verehren. Wie die Völker in dem
Kaiser einen Herrn gefunden hatten, so sollten sie im Kaiser auch einen
höchsten Gott haben. Der Kaiser galt schließlich als die oberste Staats-
gottheit. Augustus hieß Divus, d. i. Gott. In Elis, in Korinth nnd
in Sparta standen Kaisertempel; im Tempel des Zeus stand neben dem
berühmten Götterbilde das Bild des Kaisers. Der Kaiser Calignla
wollte sogar im Tempel zu Jerusalem seine Bildsäule aufstellen, fiel
aber vorher durch Mord. In den Provinzen errichtete man den Kaisern
oft schon bei ihren Lebzeiten Tempel und Altäre und betete sie an.
Diese angebeteten Kaiser waren aber zum Teil schlimme Verbrecher und
Wüstlinge; Nero ermordete seine eigene Mutter; was mußten die An-
betenden, wenn sie nach Rom kamen, von solchen Göttern sagen, denen
sie in dem Tempel ihrer Vaterstadt Opfer brachten!
Während nun der Glaube an die heimischen Götter verfiel, suchten
viele Trost und Hülfe bei den Göttern fremder Völker; andere gaben
den Glauben an die Götter überhaupt auf und suchten das Glück im
sinnlichen Genuß. Sie (die Epikureer) sagten: „Das Glück des Lebens
nach Möglichkeit zu genießen, das ist der Weg zum Glück." Wieder
andere erkannten die Unsicherheit des Lebens und des irdischen Glücks;
sie (die Stoiker) lehrten: „Im Genießen ist das Glück nicht zu finden;
so suche man's denn im Entsagen!" Jener Weg führte zur Schwelgerei,
dieser zur Verzweiflung und zum Selbstmord. Weil nun das Glück in
diesem Leben nicht zu finden war, richteten sich die Blicke um so be-