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düng ergriffen und in die Tiefe gezogen wurden. Radbod wollte
sich, wie die Sage erzählt, vor seinem Tode taufen lassen. Schon
mit dem Fuße im Taufwasser stehend, fragte er den Geistlichen, ob
seine Vorfahren im Himmel seien. Als dieser es verneinte, trat
Radbod mit den Worten zurück: „Lieber will ich mit meinen Vor¬
fahren in der Hölle sein, als bei den Christen im Himmel." Als Win¬
fried bei den Friesen nichts ausrichten konnte, ging er zum Papste
nach Rom. Dieser erkannte, was für ein treffliches Werkzeug zur
Ausbreitung des Christentums Bonifatius sei, und weihte ihn zum Bischof.
Bonifatius versprach dagegen mit einem Eide: „Im Namen des drei¬
einigen Gottes verspreche ich, Bonifatius, dir, heiligem Petrus, deinem
Stellvertreter und seinen Nachfolgern, nie in etwas zu willigen, was
der katholischen Kirche und ihrem Haupte zuwider ist.." Mit einem
Empfehlungsschreiben des Papstes reiste Bonifatius zu Karl Martell,
der ihn freundlich aufnahm und ihm einen Schutzbrief mitgab. Jetzt
war der Glaubensbote mit höherem Ansehen und besserem Schutze
ausgerüstet und konnte seine Arbeit mit größerem Erfolge betreiben
als bisher. Zahlreiche Missionare, hauptsächlich Angelsachsen, leisteten
ihm Beistand; an Stelle der den Götzen geheiligten Eichen, die Boni¬
fatius oft mit eigener Hand fällte, erhoben sich christliche Bethäuser;
die heidnischen Opfer hörten allmählich auf. So ward ganz Hessen
und Thüringen für das Christentum gewonnen. In Hessen stand eine
ungeheuere, dem Thor geheiligte Eiche. Um diese versammelten
sich die Heiden zur Anbetung. Bonifatius sprach zu ihnen: „Gott,
der seine Liebe in der Sendung seines Sohnes allen Menschen bezeugt,
ist der allein Mächtige, die Götzen sind eitel und nichts. Vor euren
Augen werde ich diese, eurem Gotte geweihte Eiche umhauen, und ihr
werdet sehen, daß niemand herbeikommt, sie vor dem Falle zu schützen."
Die Heiden erwarteten, daß der Hammer Donars den Frevler vernichten
werde, aber krachend und ohnmächtig zerfiel der Baum in vier Stücke.
Bonifatius ließ aus demselben ein Bethaus bauen, und viele Heiden
ließen sich taufen.
Zum Dank für solche Erfolge ernannte der Papst den „Apostel
der Deutschen", wie man Bonifatius mit Recht nennt, zum Erz¬
bischof der neubekehrten Länder und wies ihm später Mainz als
Wohnsitz an. Von hier aus leitete Bonifatius als oberster deutscher
Kirchenfürst die gesammte deutsche Kirche, legte neue Bistümer und
Klöster an, läuterte und befestigte die bestehenden. Wo ein Bischofs¬
sitz entstehen sollte, wurde zuerst eine Kirche erbaut, anfangs klein und
von Holz, später groß und prächtig. Neben derselben errichtete man
die Wohnung des Bischofs; Handwerker und Edle siedelten sich an,
und so entstand bald eine Stadt. Das berühmteste der Klöster, welche
Bonifatius gegründet hat, ist das zu Fulda, das er sich selber zur Ruhe¬
stätte erwählte. Die dortigen Mönche mußten nach einer sehr strengen
Ordnung leben; dennoch kamen Männer, Jünglinge und Knaben aus