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ins Quartier gelangt, dann gab es hundert Obliegenheiten und Pflichten zu
erfüllen, so daß Offiziere und Unteroffiziere nie vor spät abends an Ruhe
und Erholung denken konnten.
So vergeudete man die Kräfte der Truppe unnützerweise und machte Offi-
ziere und Soldaten mißmutig. Ja die Kurzsichtigkeit uud Kleinigkeitskrämerei
der Befehlshaber trieb dies alles bis zum äußersten, ohne zu ahnen, daß das,
was man Disziplin und Ordnung nannte, auch auf andre, den Geist und
Willen nicht tötende Art gehandhabt werden konnte.
Die Folgen dieser Plackereien und der oft bis zur Grausamkeit getriebenen
Strenge der höhern Vorgesetzten gegen den gemeinen Mann zeigten sich bald,
denn die Desertion der Ausländer, unter denen freilich genug Vagabunden
sich befanden, riß im Regiment fo stark ein, daß nach Ankunft im Hildes-
heimschen 40 Mann fehlten. Nach Verlauf von sechs Monaten, als wir ins
Hannoversche eingerückt waren, betrug die Zahl der Deserteure, die sich täglich
vermehrte, schon über 200, so daß Crsatzmannschaften nachgeschickt werden
mußten. Dies Verhältnis fand so ziemlich bei allen Regimentern der mobilen
Armee statt, bei einigen war die Zahl noch viel größer.
Die Truppe vereinigte sich mit der in Hannover stehenden preußischen Armee unter
dem Oberbefehl des Generals Nüchel, die Ansang September 1806 nach Thüringen aus¬
brach und am 11. Oktober zwischen Gotha und Erfurt Quartier nahm.
Am 13. Oktober gegen 5 Uhr abends setzte sich nun General von Nüchel
mit seinem Korps in Marsch. Als zuvor die Gewehre geladen wurden, war
der Eindruck nicht zu verkennen, den diese ernstliche Vorbereitung auf einen großen
Teil der Gemüter machte. . . Wir umgingen Erfurt und kamen in der Nacht
zum 14. zwischen 10 und 11 Uhr eine Stunde jenseits Weimar auf der
Chaussee nach Jena an, wo unser Korps Halt machte. Wir fanden hier die
Spuren eines soeben verlassenen Lagers sowie auch einen Teil der Garde und
hörten, daß die Hauptarmee hier gestanden habe, der König und das Haupt-
quartier an diesem Tage in Weimar gewesen seien und die Königin Luise
sich noch daselbst befinde. Als wir bei Erfurt vorbeizogen, kamen uns die
ersten Verwundeten sowie eine Menge zerstreuter Leute und Bagage entgegen.
Es waren größtenteils Sachsen und Leute vom Regiment v. Müsfling, die
bei Saalfeld gefochten und nach ihrer Aussage sehr gelitten hatten. Sie
waren ziemlich entmutigt, bestätigten den Tod des Prinzen Louis Ferdinand
und machten einen sehr üblen Eindruck auch auf unfre Soldaten. Leider
wirkte dieser Eindruck auf uus Offiziere, wenn auch in andrer Art; denn
es gab der Zeichen des nahen Unglücks zu viele, als daß sie selbst von den
Unbefangensten hätten übersehen werden können. Es war nicht zu verkennen,
unser Heerkörper war krank, und mit jedem Schritte zeigten sich die Gebrechen
einer veralteten Kriegskunst. Der größere Teil unsrer Führer war alt und
abgelebt; barbarische Strenge und Grobheit waren der Deckmantel ihrer
Schwächen; bei jedem ungewöhnlichen Ereignis verloren sie den Kops, was
bereits viele Beispiele bewiesen hatten, und unsre Bewegungen kurz vor der
Schlacht zeigten, daß Offiziere wie Soldaten ihres Handwerks außerhalb des
Exerzierplatzes ganz unkundig waren. In den Bataillonen selbst herrschte
während des Marsches eine solche pedantische Strenge, daß kein Soldat ans
dem Tritt kommen und sozusagen keine andre Bewegung als mit den
Füßen machen durfte; der Stock regierte nach Herzenslust.