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Das Deutsche Reich des Mittelalters.
§33.
geschmückten Ottokar vor. Er scheute sich nicht, im Kriegszelte einen Riß
seines Rockes selbst zu flicken. Von seiner Leutseligkeit gegen Niedrige,
von seiner strengen Gerechtigkeit, von seinem sichern Urteile leben manche
Erzählungen im Munde des Volkes. Seinen frommen Sinn hat Schiller
in der Ballade „Der Graf von Habsburg" verewigt.
5. Familienverhältnisse und Tod. Rudolf hatte vier Söhne und
sechs Töchter. Von seinen Söhnen überlebte ihn nur einer, der spätere
Kaiser Albrecht I. Seine sechs Töchter haben ihm sechs Kronen ins Haus
gebracht. Mathilde oder Mechthilde wurde die Gemahlin des Pfalz-
grasen bei Rhein, Agnes wurde Herzogin von Sachsen, Hedwig Mark-
gräfin von Brandenburg, Katharina Herzogin von Bayern, Klementia
Königin von Neapel und Gutta Königin von Böhmen.
Am 15. Juli 1291 schloß der Kaiser sein tatenreiches, vielbewegtes
Leben. Nach einer alten Überlieferung saß er auf seiner Pfalz zu Ger-
Mersheim beim Schachspiel, als er das Schwinden seiner Kräfte bemerkte.
Er ritt nach Speier, wo er die letzten Tröstungen der Religion empfing
und bei vollem Bewußtfein, mit einem Gebet für sein Volk auf den Lippen,
im Alter von 78 Jahren sanft verschied. Im Kaiserdome zu Speier, an
der Seite der satischen Kaiser, wurde ihm das Grab bereitet. Seinen
Ritt zum Grabe hat Justiuus Kerner besungen.
§ 33. Molf von tlajsau.
1. Wahl. Schon ruhte Rudolf zehn Monate im Grabe, als die
Fürsten dem Reiche einen neuen König gaben. Zwar hatte Albrecht, der
einzige überlebende Sohn Rudolfs, nach Sitte und Herkommen die meiste
Anwartschaft auf den erledigten Thron. Aber die sieben Wahlfürsten
wählten nicht den mächtigen Herzog von Österreich, sondern den tapfern
Grafen Adolf von Nassau. Früher, als noch die gesamten deutschen
Fürsten sich an der Königswahl beteiligten, wurde meist ein mächtiger
Herr gewählt. Einem Starken wollten sie dienen, um von ihm mit starker
Hand beschirmt zu werden. Seitdem aber das Wahlrecht in die Hände
von sieben Fürsten gelegt war, strebten diese danach, einen machtlosen
König an die Spitze des Reiches zu stellen, damit sie um so ungehinderter
in ihren Erblanden schalten und walten könnten.
2. Persönlichkeit. Adolf war ein ritterlicher Herr. Seine Tapferkeit
hatte er in mancher Fehde erprobt. Er befaß die körperlichen und geistigen
Eigenschaften, die ein deutscher Kaiser haben mußte; aber es fehlte ihm die
Hausmacht, auf die er feine Politik hätte stützen können. Das Stamm¬
land seiner Familie entspricht etwa dem heutigen Regierungsbezirk Wies-
baden; Kaub am Rhein war seine gewöhnliche Residenz.
3. Zerwürfnis mit den Fürsten. Vor seiner Wahl hat er den Kur¬
fürsten viele Vorrechte versprechen müssen, besonders eine Reihe von Rhein-