Full text: Das Alterthum (Theil 1)

Bilder aus der Culturgeschichte der Griechen. 167 
Feuer des ersten Schaffens, in einer Sprache, wie sie kein Dichter 
selbst dieses kunstbegabtesten unter den Völkern der Erde je wieder 
erreicht hat, auf die ersten Zuhörer bei jenen Festversammlungen auf 
der jonischen Küste, der Heimat des Dichters, machen mußte? Der 
königliche Held, zum Bettler verwandelt, geschmäht in seinem eigenen 
Palaste unter dem Getümmel der Freier, welche kein Vogelzeichen 
und kein Seherspruch warnt, in deren Gelag sich, ohne daß die Ver- 
blendeten es gewahren, schon Geister des Hades drängen; die edle 
Königin, welche den Abgeschiedenen. Niewiederkehrenden beweint, 
während er lebend vor ihr steht; die alte Schaffnerin, die zuerst 
den König, den sie als Kind gepflegt, an der Narbe von der Eber- 
jagd her wieder erkennt; die redlichen Hirten, welche den unerkannten 
Herrn mit dem ungefälschten Ausdruck ihrer Treue erfreuen — dann 
jene Scenen voll tragischer Furchtbarkeit, wo selbst die Neugier 
heutiger Zuschauer zu athemlosem Lauschen wird: wie die Königin 
den Bogen des Odysseus herbeibringt, damit die Freier ihre 
Kraft erproben und sie sich dem vermähle, der den Bogen spannt, 
dem der Schuß gelingt — wie das Geschoß von Hand zu Hand geht, 
aber keiner der Frevler den Bogen eines Helden zu spannen vermag 
— wie dann der fremde Bettler, dessen seltsame Gestalt den Freiern 
immer unheimlicher wird sich das Schießzeug erbittet, damit auch er 
im Kreise der Jungen erprobe, ob noch Kraft in ihm geblieben, und 
wie nun, denn der Augenblick der Rache ist gekommen, Pene- 
lope vom Sohne ins Frauengemach gewiesen wird und die Thüren 
des Palastes geschlossen werden. Unter dem lärmenden Geschrei der 
Freier hat Eumäos den Bogen gebracht. Der Fremde tritt herzu, 
man weiß nicht, wie es geschieht, jetzt prüft er ihn mit kundigem 
Blick, und mit sicherer Hand, leicht, wie der Sänger die Saiten auf- 
zieht, weiß er ihn zu spannen. Der Klang der Sehne geht den 
Männern durchs Herz, man hört den Donner des Zeus, die Freier 
erblassen; leicht und sicher fliegt der Pfeil durch die Löcher der hinter- 
einander gestellten Beile. Jetzt ist es Zeit — so ruft der Bettler 
mit schrecklichem Hohne — den Achäern das Spätmahl zu rüsten 
und hernach sich zu freuen an Tanz und Spiel, den Weihen des 
Mahles — er springt auf die Schwelle, er schüttelt die Pfeile sich 
vor die Füße, „ein anderes Ziel will ich treffen, das noch kein Schütze 
getroffen, ob Apollon mir Ruhm gewähre" — sein Pfeil trifft bei 
diesem Wort den Antinoos, wie er den Becher vom Tische hebt, 
und nicht lange bleiben die Freier ungewiß, wer es ist, der den 
Kecksten aus ihrer Mitte erlegt hat. Odysseus ist es, kein anderer, 
der wiederkehrt im zwanzigsten Jahre, das Morden beginnt und 
endet nicht eher, als bis die Rache gesättigt ist und die Leichen 
der Freier den Saal bedecken. Doch nicht mit dieser Scene des 
Entsetzens schließt der Dichter, so wenig wie der Dichter der Jlias 
mit dem Tode Hektors. Die Wiedervereinigung der Gatten, die
	        
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