Gang der Weltgeschichte; Blick auf die ostasiatischen Culturvölker :c. 3
Eine dreimalige Jahresernte ist das Geschenk des Ganges, und er ist
daher Indiens heiliger Strom. An seinen Quellen, auf des Himalaya
Schneespitzen, ist der Thron des Jndra, der, angethan mit einem
himmelblauen, von Augensternen übersäten Gewände, gestützt auf den
Regenbogen, den Himmel beherrscht im Auftrage der heiligen Tri-
murti: Brahma, Siva und Vischnu. Die Schneefelder umher sind
heiliger Boden; dahin wallfahrtet der Inder, und dort bringt er seine
Opfer. Die Tausend Eiszapfen umher sind Mahadevas Haupthaar,
des Segenspendenden, der die klaren Gebirgsflüsse sendet, in denen
zu baden Wonne und Reinigung bringt, in denen unterzugehen ewige
Seligkeit verschafft. Die unübersteiglichen Schneegipfel des nördlichen
Hochgebirges machte der Inder zum Sitze der Götter und Wunder;
ihr heller Glanz aus geheimnisvoller Ferne zog das Gemüth des
Menschen nach dieser erhabenen Stätte, die er um so mehr nur von
Göttern bewohnt denken konnte, als ihre höchsten Höhen ihm uner-
reichbar waren. So zeigt die indische Religion ihren Zusammenhang
mit der Landesnatur; ja dem Inder geht die ganze Natur in die
Gottheit auf und umgekehrt: sein oberster Gott Brahma ist das un-
erschaffene All, unpersönlich und unbestimmt, wie das Schicksal bei den
Griechen. Jede Verletzung eines Naturwesens, eines Insekts, einer
Blume erscheint dem Inder daher als ein Vergehen gegen die Gott-
heit, während er auf der andern Seite die grausamste Selbstpeinigung
und Selbstvernichtung für erlaubt, sogar verdienstlich hält, denn sie
Zerstört den Sitz des Bösen, den er in der Materie des Leibes sucht,
und führt ihn zur Auflösung in das göttliche All. Die zwei andern
Hauptgötter sind vergötterte allgemeine Naturkräfte, Ausflüsse der
höchsten Gottheit: Siva, der Verehrte, die erzeugende und zerstörende
Naturkraft, der Gött^der FurD^oessen Symbol das Feuer, und der
durch schauerliche Selbstpeinigung verehrt wird, und Vischnu, der
Durchdringer, die erhaltende Kraft, dessen Symbol das Wasser, und der in
immer neuen Gestalten als erlösende Gottheit auf die Erde herabkommt.
Das Volksleben der Inder erstarrte frühzeitig in festen For-
men; es ist bei ihnen, anders, als bei ihren Verwandten im Westen,
die demselben arischen oder indo-germanischen Stamme angehören
(den Jraniern, Griechen, Römern, Germanen, Slaven), keine
wahre Geschichte. Bis auf die Neuzeit ist es dort gewesen, wie
Herodot es geschildert. Man ermittelt durch Feuer- und Wasserprobe
das Recht, der Gipfelpunkt indischer Skulptur sind vielarmige und
vielköpfige Göttergestalten, mit denselben Instrumenten verfertigt die
feinknochige Hand des- Inders die feinen Musseline, die prächtigen
Teppiche, die tibetanischen Shawls und die glänzenden Gold-, Silber-,
Elfenbein-und Perlmutterarbeiten. In dem indischen Kastenwesen
wurde das gesellschaftliche Leben in unabänderliche Canäle einge-
zwängt; früh schon wurde die Stufenordnung der Kasten, von denen
die ersten beiden dem herrschenden, Heller gefärbten arischen Volksstamme
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