220 Zweite Abtheilung. Dritter Abschnitt.
haftigkeit hervor: einen Säugling im Arme, eines zweiten Kindes
im Kerker genesend, sah sie den verzweifelten alten Vater jammernd
zu ihren Füßen, der sie beschwor, der Schande und dem Tode durch
Verleugnung zu entgehen; mit tiefem Seelenschmerz blieb sie stand-
Haft, wurde, in ein Netz genäht, einem wilden Stier vorgeworfen
und empfing dann mit andern, von den wilden Thieren unter dem
Jubel der Zuschauer nur verwundeten und zerfleischten Bekennern
den Gnadenstoß. Wie alle diese vereinzelten Angriffe des Heiden-
thums, so konnte auch die erste allgemeine Verfolgung unter
Decius, so grausam und heftig sie war, das Christenthum nicht
ausrotten, wenn auch Einzelne und ganze Gemeinden durch Vcrleug-
nung sich retteten oder sich Sicherheit erkauften, wogegen andere Christen
als „Bekenner" sich zum Tode drängten, was besonnene Kirchen-
lehrer aber mißbilligten. „Die Tugenden des griechischen und rö-
mischen Alterthums erneuerten sich in der Hingabe für ein überirdisches
Vaterland. Wenn solche Todesfreudigkeit gefördert wurde durch die
Schmach, die den Abgefallenen traf, wie durch die Ehre und Herr-
lichkeit, die der Märtyrer noch auf Erden in der Bewunderung seiner
Freunde fand und im Paradiese erwartete: so war sie doch auch wahr-
hafte Begeisterung in der Nachfolge Jesu, gab der Kirche das Gefühl,
daß sie nicht besiegt werden könne/' und der Heidenwelt das eindrucks-
volle Zeugniß, daß es sich hierbei um eine Wahrheit handle, die
mächtiger das Gemüth erfaßte, als alle menschliche Weisheit, um ein
Kleinod des innern Lebens, das über alles Irdische erhaben war.
3. Kirchenverfafsung und Gottesdienst in den ersten 3 Jahrhunderten.
Alle Christen bildeten ein priesterliches Volk, daher kennt die
christliche Kirche in der apostolischen Zeit keinen besondern kirchlichen
Lehr- und Priesterstand. An der Spitze der einzelnen Gemeinden
standen, von den Aposteln eingesetzt, Aelteste (Presbyter) oder Bi-
s ch ö f e als Ordner und Schiedsrichter, die aber noch in keinem andern
Sinne Lehrer waren, als andre Gemeindeglieder, welche dazu Be-
gabung hatten und vom Geiste sich getrieben fühlten, zur Erbauung
der Gemeinde zu reden; Diaeonen und Diaeonifsinnen, von der
Gemeinde gewählt, besorgten die Armen- und Krankenpflege. In der
nachapostolischen Zeit erhielt der Bewährteste und Angesehenste unter
den Presbytern allein den Namen Bischof und stand an der Spitze
des Collegiums der Aeltesten als „Erster unter Gleichen." Mit
dem Abnehmen der „Geistesgaben" in der Gemeinde wurde die Lehr-
thätigkeit ausschließlich an die bestehenden Kirchenämter gebunden,
und schon im 3. Jahrhundert beginnt die Unterscheidung von Clerus
id. h. ursprünglich der zur Verwaltung der Gemeindeämter Auserwählten)
und Laien; dem allgemeinen Priesterthume tritt ein besonderes nach
alttestamentlicher Anschauung entgegen. Doch geschah die Wahl der
Geistlichen, auch der Bischöfe, und die Ausübung „der Schlüssele-