Full text: Das Mittelalter (Teil 2)

Rückblick auf das Altertum. I. Deutsche Stammesgeschichte. 7 
als Bewohner des durch Deutschland vom Rhein bis zu den Karpathen 
hindurchziehenden chercynischen) „Gebirges" bezeichnet wurden. Es bedeutet 
nämlich ger im Keltischen, wie gor im Slawischen und gir im indischen 
Sanskrit „Berg". 
Die einzelnen Stämme der Germanen lebten durch Wälle, Ver- 
haue und Waldwüsten getrennt in mannigfachen Grenzstreitigkeiten, und 
ein jeder dieser Stämme nannte sich Volk. Erst ums Jahr 300 n. Chr. 
erschienen sie in größere Völkerbündnisse vereinigt. Die bekannteren 
Stämme in ihren alten Wohnsitzen sind: am Niederrheine bis zur Ems 
Sigambrer, Marsen, Brukterer, auf der batavischen Rheininsel die 
Bataver, im Wesergebiete die Chatten (Hessen), zwischen Werra, Elbe, 
Harz und Thüringerwald bis südlich über das Fichtelgebirge hinaus die 
Hermunduren, nördlich vom Harze bis zur Elbe die Cherusker und 
Langobarden, im großen südwestlichen Grenzlande bis an den Ober- 
rhein die snevischen Markomannen, im oberen Weichselgebiete und im 
Oderlande die Lygier und Vandalen, an der schwarzen Elster und der 
Lausitzer Neiße die Semuouen, östlich von ihnen die Burgunder, von 
der unteren Weichsel bis zum schwarzen Meere die Gothen, an den 
Rheinmünduugeu die Friesen, an der unteren Weser die Chanken, auf 
der Halbinsel Jütland die Kimbern und Teutonen, am Eingange der 
Halbinsel die Angeln und Sachsen, an der Ostseeküste die Heruler 
und Rugier. Diese Völkerschaften bewohnten das von den Römern 
Groß-Germanien benannte Land; aber auch in dem Lande westlich des 
Rheines, in Klein-Germanien, saßen noch einzelne deutsche Stämme. 
Vollscharakter, Sitte und Lebensweise; religiöse Grundanschauungen. 
§ 5. Durch hohe Gestalt, gewaltige Körperkraft und trotzige Haltung, 
weiße Haut, goldgelbes Haar und kühn blickende blaue Augen waren die 
alten Deutschen körperlich ausgezeichnet. Abgehärtet gegen die rauhere 
Witterung ihrer nordischen Heimat, zerschmolzen ihre vollsaftigen, in 
feuchter Waldlust aufgewachsenen Leiber in der Hitze des Südens in 
Schweiß. Sie vereinigten die Vorzüge und Mängel eines mit tüchtigen 
Anlagen begabten Naturvolkes: Unbändiger Freiheitssinn, unbesiegbare 
Lust an Krieg und Beute, an gefährlicher Jagd auf das flüchtige Eleu, 
den gehörnten Ur, den zottigen Bär und den räuberischen Wolf ihrer 
wildreichen Urwälder, an wildem Gelage mit Trunk und leidenschast- 
kichern ^Würfelspiel, dazu Arbeitsscheu bei träger Ruhe auf weicher 
Bärenhaut nach aufregender Anstrengung verbanden sich in ihnen mit 
Keuschheit von Jugend an, mit ehelicher Treue und hoher Achtung 
gegen die Frauen, mit Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Gast- 
freundschaft, mit sittlichem Ernste und tiefer Götterscheu. „Mehr 
vermochte bei ihnen gute Sitte, als anderswo gute Gesetze." Heftig 
und ungestüm beim Angriffe, war ihre Ausdauer nicht immer dem Anfange 
gleich; bei ihrem offnen und geraden Sinne fehlte es ihnen doch nicht 
an Klugheit und Verschlagenheit. Ihre Gastfreiheit gegen den Genossen 
und Nachbar erstreckte sich auch aus den Fremden, wenn er empfohlen
	        
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