20 Erste Abteilung. Erster Abschnitt. Erstes Kapitel.
Fürstensohn aus dem Volke der Cherusker, der sich im römischen Kriegs-
dienste römisches Bürgerrecht und römische Ritterwürde erworben, hatte
durch römische Gunstbezeugungen sein deutsches Herz nicht verloren und
beschloß, die römische Herrschaft mit den Waffen zu bekämpfen, die er in
Rom kennen gelernt, mit List und Verstellung. Hin und her in den
Wäldern und Schluchten versammelte er die Häupter der Cherusker,
Marsen, Brnkterer und Chatten und begründete eine Eidgenossen-
schast dieser Stämme zur Vertreibung der Römer. Während Varus
mit drei Legionen ein vergnügliches Leben in seinem Sommerlager an der
Weser führte, erhub sich, angeschürt durch die Verschworenen, ein Volks-
aufstand unter den Marsen, um Varus tiefer in das unwegsame Gebirge
zu locken, und dieser, in stolzer Sicherheit, verachtete die Warnung des
Cheruskersürsten Segest, der aus Haß gegen Armin zum Verräter wurde,
und ging mit seinen Legionen in die Falk.
Die deutschen Fürsten, die den römischen Feldherrn bei seinem Aus-
zuge geleiteten, verließen ihn bald unter dem Vorgeben, ihm ihre Scharen
zuzuführen, und riefen diese zum Freiheitskampfe auf. Sorglos zog
indes das Römerheer durch den furchtbaren Wald, ein langer und lang-
samer Zug, mit Gepäck, Weibern und Kindern, ordnungslos in znneh-
mender Ermattung, denn anhaltender Regensturm durchweichte und über-
flutete die ungebahnten Wege, auf denen Roß und Mann ausglitten.
Da zeigen sich plötzlich auf allen Seiten im Waldesdickicht feindliche
Haufen, es kommt zum Kampfe; mit Mühe erreichen die Römer eine freie
Stelle und können noch ein Lager zur Nachtruhe aufschlagen. Varus, die
Gefahr erkennend, läßt am nächsten Morgen einen großen Teil des Gepäcks
verbrennen und wendet sich westwärts, um Aliso zu erreichen; aber noch
ist der Osuing zu ersteigen und eine moorgrundige Ebene zu überschreiten.
Die Legionen schließen sich fester aneinander, denn kaum haben sie das
Gebirge betreten, so beginnen die Angriffe von neuem, und sie erreichen
unter stetem Kämpfen am zweiten Abend einen Lagerplatz, doch kann die
Befestigung des Lagers nicht mehr beendigt werden. Am dritten Tage
gelangt das bedrängte Heer unter großen Verlusten an den Abhang des
Waldgebirges, aber hier ist die Hauptmacht der Deutschen versammelt,
um den Feinden den Weg nach Aliso zu verlegen, und hier zwischen
den Quellen der Lippe und Ems, am Teut- und Falkberge, zwischen
9 Wald und Sumpf kommt es zum letzten Kampfe. Die zum Tode er-
»• Chr. schöpften Römer, denen die vom Regen erschlafften Bogensehnen den Dienst
versagen, drei der besten Legionen unterliegen dem allgemeinen Angriffe,
ihre Adler werden genommen, und Varus, da er alles verloren sieht,
stürzt sich in sein Schwert; nur wenige* des stolzen Heeres erreichen die
bergende Beste. An den gefangenen Römern kühlten die erbitterten
Sieger ihren Rachedurst: die vornehmsten Hauptleute verbluteten an den
Altären der Götter, die römischen Sachwalter, gegen die sich vorzüglich
die Wut kehrte, wurden grausam getötet, und mancher vornehme Römer
mußte als leibeigener Knecht eines deutschen Bauern sein Leben in deut¬
schen Wäldern verbringen. Wiederum zitterte Rom vor den Deutschen,