Full text: Das Mittelalter (Teil 2)

Rückblick auf das Altertum. L Deutsche Stammesgeschichte. 33 
ermuntert und durch eine Urkunde desselben mit dem Besitze Italiens 
begabt, brach Theodorich mit seinem ganzen Volke, 200000 waffenfähigen 
Männern, samt Weib und Kind, Hab und Gut aus dem verödeten Lande 
an der Donau nach Italien auf. Wie es nur ein Rest der Westgoten 
gewesen war. der in Spanien ein Reich gründete, so zog unter Theodorich 
ins Pothal auch nur uoch ein kleiner Bruchteil des großen Volks, 
welches ehemals vom Schwarzen Meere bis zur Weichsel sich erstreckt hatte; 
hundertjährige Kämpfe und Wanderzüge, die Uneinigkeit der Häuptlinge 
hatten das große Volk zersplittert und dezimiert. Nach harten Kämpfen 
kam es zur Entscheidungsschlacht bei Verona an der Etsch, bis 
wohin Odoaker zurückgedrängt worden war; derselbe erlitt hier eine furcht- 
bare Niederlage und mußte zuletzt in seiner stark befestigten Hauptstadt 
Raven na seine Zuflucht suchen, wo er sich drei Jahre lang tapfer ver- 
teidigte. Endlich mußte er sich ergeben; Theodorich sicherte ihm Freiheit 
und Leben zu, ließ ihn aber bald darauf töten, weil er seine Herrschaft 
nach der Weise jener wilden Zeit so lange für gefährdet halten mußte, 
als der Gegner lebte. 
Seine Goten erhielten den dritten Teil des eroberten Landes, 
den schon Odoaker seinen Waffengenossen gegeben hatte; sie waren die 
Herren Italiens, eine abgesonderte Krieg er käste aus freien Männern, 
streng geschieden von den Römern, und standen tote im Kriege unter ihren 
vom Könige gesetzten Herzogen und Grafen. Den Römern verblieben 
die Künste des Friedens, und sie bildeten den Bürgerstand. Die 
Goten hatten nun weite Landgebiete mit unterworfenen Ackerleuten, welche 
ihnen von Land und Herden abgaben. Diese hatten leichter erobert 
werden können, als sie durch die verhältnismäßig nicht zahlreiche Krieger- 
schar verteidigt werden konnten, wenn dieselbe nicht ihr Übergewicht nach 
Art des spartiatischen Kriegsadels wahrte. Diese Krieger wohnten aber 
in schön gebauten Villen, konnten durch Sklaven die Tafel herrichten 
lassen, „unterwürfig neigten sich vor ihnen griechische Philosophen und 
römische Versemacher, und angesehene (Senatoren waren froh, als ihre 
Hausfreunde Sicherheit des Lebens und des Eigentums zu gewinnen." 
Besonders den Vornehmen unter den Goten wurde es daher auf die 
Dauer unmöglich, ganz in der alten Kriegerweise fortzuleben; 
sie mußten eine Verbindung mit dem neuen Wesen, das sie umgab, suchen. 
t,Bei jedem Gange durch die Straßen, sahen sie hundert zierliche Dinge, 
deren Gebrauch sie nicht kannten, und wenn sie den kunstvollen Gesang 
eines griechischen Sängers hörten und das Entzücken der Römer beob¬ 
achteten, kamen sie sich fremd und unwissend vor, und wie vorsichtig die 
furchtsame Schmeichelei der Eingebornen das eigene Urteil versteckte, sie 
merkten, daß sie auch dem Stadtvolke so erschienen." Diese schwierige 
Stellung seines Volkes erkannte Theodorich, wenn er aussprach: „ein 
armer Römer spielt den Goten, ein reicher Gote den Römer." Konnten 
die Goten einerseits unter den neuen Verhältnissen in der alten Krieger- 
weise nicht fortleben, so konnte andrerseits ihre Herrschaft nicht bestehen, 
wenn sie mit römischer Art und Bildung auch die Verweichlichung und 
S churig. Lehrbuch der Geschichte. II. 3
	        
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