Full text: Die Neuzeit (Teil 3)

276 2. Periode: Zeitalter der absoluten Monarchie. 
und ließ die Gefühle der Liebe und Freundschaft in verklärter Bedeutung 
erscheinen. Eine phantastische Schwärmerei für das Vaterland 
bemächtigte sich der jungen Talente, die sich um Klopstock, den Sänger 
des „Messias," scharten, wie im Göttinger Dichterbunde; 
ihre Sehnsucht wendete sich der einfältigen Größe der germanischen 
Urzeit zu: „nur im Schatten deutscher Eichenhaine, nur im Lande 
Hermanns und der Barden sollten Wahrheit und Treue, Kraft und 
Glut ursprünglicher Empfindung heimisch sein." Die durch die etwas 
weichliche Schwärmerei der Freunde und Anhänger Klopstocks veranlaßte 
Gefühlsseligkeit fand einen heilsamen Gegensah in der einschnei- 
denden Wirksamkeit G. E. Lessing s. Er begründete in durchsichtig 
klarer Prosa eine auf wahrem Verständnis beruhende Kritik im 
Gebiete der Literatur und Kunst, vernichtete die bisherige Herrschaft 
der Franzosen in der dramatischen Literatur und schuf in „Minna 
von Barnhelm" das erste mustergültige deutsch-patriotische Lustspiel; 
er verteidigte die Freiheit des Gedankens und Gewissens und eröstnete 
namentlich in seinem „Laokoon" das Verständnis der griechisch- 
römischen Kunst, das der Altertumsforscher I. I. Winkelmann 
begonnen. Winkelmanns Schriften hatten in den Männern der deut- 
schen Dichtung und Wissenschaft den Wetteifer erweckt, sich mit dem 
Geiste des Altertums zu erfüllen, und „das schönheitsfrohe Geschlecht, 
berauscht von der Freude der ersten Entdeckung, wollte in der antiken 
Gesittung nichts sehen, als reine Menschlichkeit, Gesundheit, Natur. 
Die oft hart gescholtene deutsche Sprache erwies sich allein unter 
den neuen Kultursprachen fähig, alle Versmaße der Hellenen treu und 
lebendig nachzubilden; sie wurde allmählich, seit die Vossische Über- 
setzung des Homer den Weg gewiesen, die erste Übersetzersprache 
der Welt." Während für die französisch gebildete feine Welt M. Wie- 
land französische Grazie, Leichtigkeit und Frivolität in die 
deutsche Literatur einführte, aber doch zugleich der deutschen Sprache 
feinere Beweglichkeit errang, eröffnete I. G. Herder für die ernsten 
Geister ganz neue Gesichtskreise. „In der Literatur der alten und 
neuen Völker suchte er den Spuren des Volksgeistes nachzugehen und 
aus den literarischen Denkmalen aller Zeiten den großen Zusammen- 
hang in der Bildungsgeschichte des Menschengeschlechts 
und dessen stetigen Fortschritt nachzuweisen." Seinem so ganz un- 
historischen Zeitalter, das nur im Zerstören veralteter geschichtlicher 
Bildungen seinen Ruhm fand und nur sich selbst für kultiviert hielt, 
erweckte er das Verständnis des geschichtlichen Lebens und der ver- 
schiedenen Kulturepochen in der Geschichte der Menschheit; seinem pro- 
phetischen Blicke enthüllte sich der Zusammenhang vonNaturuud 
Geschichte, er dachte den Offenbarungen Gottes nach in den Welt- 
bauenden Kräften des Alls, wie in den Wandlungen der Geschichte der 
Menschheit. In seinen „Stimmen der Völker" machte er die 
Volkslieder der historisch bedeutsamen Völker zum Gemeingute der Ge- 
bildeten in Deutschland; er führte damit durch, was Klopstock genial
	        
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