Rosegger.
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Peter Rosegger.
143. Das Waldspinnlein.
Als ich im sommerlichen Walde aus dem ausgebreiteten
Wollentuche dalag und meinem lieben Gott Artigkeiten sagte
von wegen seiner schönen, vortrefflichen Schöpfung, da lies
plötzlich etwas sehr rasch über mein Bein herauf. Meine
Hand schnellte hin, war aber nichts mehr da, und auf
dem Wollentuche lag ein graubraunes Kügelchen. Ich mußte
sehr scharf und genau daraus Hinblicken, bis ich sah, daß es
ein Tier war, welches sich fest zusammenkauerte und seine
Beine so nahe an den Leib zog, daß sie von diesem kaum
zu unterscheiden waren. Ich rührte es an, es bewegte sich
nicht, ich suchte es in Bewegung zu bringen, es kollerte ein
wenig über das Tuch hin und blieb liegen, unbeweglich und
starr wie ein Baumrindchen.
Ich glaubte endlich, es sei nicht jenes Tier, welches
über das Bein gelaufen war, sondern wirklich ein Stückchen
Holz oder dergleichen. Anderseits aber kam mir der Gedanke:
„Halt, kleines Ding, vielleicht bist du etwas Abgefeimtes,
stellst dich nur so, damit ich mich wieder von dir wende und
du deinen Angriff auf mich im günstigen Augenblick neuer¬
dings machen kannst. Warte, necken wir dich ein wenig!"
Ich stupste es mit einem Grashalm, es blieb leblos und
starr. Nun ließ ich es vom Tuche auf ein grünes Blatt
rollen, da ging es in die Falle. Das Blatt mochte es für
seinen freien Boden halten, allsogleich sprangen die Bein-
chen auseinander, und das Wesen — eine Waldspinne war's
— lies. Als ich es hierauf mit dem Finger berührte, war es
wieder das regungslose Kügelchen. Kein Glied, kein Kopf,
kein Auge war zu sehen, keine Ähnlichkeit mit einem
lebendigen Wesen. Schauspielerin du! Da denkt sie sich:
„Au, hier ist ein Ungeheuer, das den Spinnen nachstellt.
Ich stelle mich tot, sonst macht es mich tot." Nur ruhig, es
ist noch immer da — ein schreckliches Ungetüm.
„So will ich doch sehen," dachte ich mir wieder, „ob deine