Full text: Lehr- und Lesebuch für den Deutschen Geschichtsunterricht

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Das jammervolle Truggerüste, daß sich die Kirche Christi heißt, 
Der Bau, den freches Erdgelüste getürmet, nicht der heilge Geist; 
Die Hand des Herrn wird niederschlagen, und euer Werk zerbricht, 
zerstiebt, 
So wahr Millionen Herzen klagen, so wahr noch Gott die Menschen 
liebt!" 
Die Tortur. 
Die Richter sitzen in der Reihe, von Mördern eine tücht'ge Schar, 
Zwölf Laien sind es, und zur Weihe ist beigesellt ein Priesterpaar. 
Jetzt rufen die Inquisitoren: „Girolamo, bekehre dich! 
Girolamo, du bist verloren! den Widerruf! sprich Ketzer, sprich! 
Bekenne, daß du dich versündigt an Gott und seiner Kirche schwer! 
Daß du nur Lügen hast verkündigt, das Volk getäuscht mit eitler Mar. 
Was du dem Volke sprachst vermessen von Kirchenreformation: 
Das widerrufe, sonst entpreffen wir bald dir einen andern Ton!" 
Entgegen tritt dem Haß und Grimme mit unerschrocknem Angesicht 
Girolamo, mit fester Stimme spricht er: „Ich widerrufe nicht! 
Was ich verkündigt, wird geschehen: des Truges morsche Kette reißt, 
Die Kirche Christi wird erstehen, und siegen wird der ew'ge Geist!" 
Da schmähn und lästern mit Gepolter die Richter, schreien wutent¬ 
brannt : 
„Fort mit dem Ketzer auf die Folter!" Schon find die Büttel zugerannt. 
Am Seile bleibt er hangend schweben, da schreien ihm die Richter zu: 
„Willst du der Kirche dich ergeben? und lässest du den Papst in Ruh?" 
Er spricht mit schmerzgedämpfter Sprache: „Bei Gott, ich widerrufe 
nicht! 
Und wenn mir eure blinde Rache auch jeden Nerv am Leibe bricht!" 
Der Tod ans dem Scheiterhaufen. 
Tie Sonne mit dem Frühlingsstrahle Bauwerk des Todes heut be- 
grüßt: 
Sie schlugen auf drei Tribunale, sie richten ein Schafottgerüst. 
Der Bischos soll, bevor die beiden empfängt das weltliche Gericht, 
Der Kleruswürde sie entkleiden; mit feierlichem Zorn er spricht: 
„Im Namen Gott des Vaters, Sohnes und heil'gen Geistes und in 
Kraft 
Des römischen Apostelthrones, Girolamo, wirst du bestrast: 
Wirst du des geistlichen Gewandes und aller Weihen, jeder Macht 
Und jeder Gunst des Priesterstandes, dem du nur Schand und Schimpf 
gebracht, 
Entsetzt, beraubt und ausgezogen; dich stößt die Kirch' aus ihrem 
Kreis, 
Die du gelästert und betrogen; hier giebt sie dich den Henkern preis!" 
Jetzt nimmt, in umgekehrter Reihe, die Kirche, was sie gab, zurück, 
Von Grad zu Grad Gewand und Weihe wird ihm entzogen, Stück für 
Stück.
	        
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