Kulturgeschichtliche Grundbegriffe. IV
Abgaben) gleichfalls in Naturalien geleistet werden. Ebenso selbstverständlich
ist es, daß auf dieser (Stufe des Wirtschaftslebens derWertmesser beim Aus-
tausch von Gütern (Handel) durch Naturalien dargestellt wurde. Bei größeren
Werten war dies gewöhnlich das Rind (das Wort „pecuma = Geld" ist ab¬
geleitet von pecus = Rind) oder das Pferd (Streitroß), letzteres besonders
bei den alten Persern und Germanen, heute noch bei den Arabem, Beduinen,
bei welchen außerdem das Kamel als Wertmesser eine Rolle spielt.
Kleinere Werte werden dargestellt durch bestimmte Quantitäten Getreide,
Schafe, Hühner u. ä. Diese Wirtschaftsform findet sich nicht nur bei Naturvölkern
sondern auch bei Kulturvölkern, solange sie überwiegend Ackerbau treiben. Im
Wen Testament wird häufig mit Rindern, Schafen und Kamelen bezahlt; in
dem Homerischen Gedicht Jlias wird der Wert der Rüstungen, welche die beiden
Helden Glaukos und Diomedes austauschen, in Rindern angegeben. Noch heut-
zutage zahlen manche Bauern in den unteren Donauländern (Serbien, Bulgarien,
Rumänien) ihre Stenern in Erträgnissen der Landwirtschaft, z. B. in Getreide,
Schweinen, Zwetschgen u. dgl. Es ist jedoch leicht ersichtlich, daß Handel und
geschäftlicher Verkehr umständlich und bedenklich waren, wenn der Wertmesser
selbst einen so schwankenden tatsächlichen Wert hatte, wie das bei Naturalien
in der Natur der Sache liegt. (Ein Rind z. B. kann seinen Wert täglich ändern,
alt und jung, fett und mager, groß und klein sein, Begriffe, die auch beim scharf-
sinnigsten Vertrag nicht genau festgelegt werden können; es braucht Futter,
Pflege, Stall, kann krank werden und abstehen; ähnlich ist es bei den anderen
Naturalien.) Das bildete auch tatsächlich eine Quelle endloser Streitig¬
keiten, da der Lieferungspflichtige begreiflicherweise ein möglichst wertloses
Natural geben, der Empfangsberechtigte ein möglichst wertvolles erhalten wollte.
„Mager wie ein Zinshahn" war im ganzen Mittelalter bis in die Neuzeit ein
bekanntes Sprichwort.
Diese Verhältnisse wurden um so unerträglicher, je mehr sich bei zunehmender
Bevölkerungsdichte und Arbeitsteilung Industrie und Handel ausbildeten,
also vor allem in den Städten. Die unaufhaltsame Entwicklung verlangte einen
Wertmesser, der auf kleinerem Raum größeren Wert vereinigt, demnach in der
Natur seltener vorkommt, leicht in eine gewünschte Form gebracht werden kann,
die er dann beibehält; ferner bequem zu befördern und aufzubewahren ist, ohne
seinen Wert zu ändern, nichts verzehrt, nicht von selbst zugrunde geht, keine täg¬
liche Pflege beansprucht usw. Es kann dies nichts Organisches, es muß etwas
Anorganisches sein. So kamen die Kulturvölker aus dieEdelmetalle (Silber,
Gold); der Übergang zur
Geldwirtschaft war gegeben. Anfangs wurde das Edelmetall nach seinem
Feingehalt bestimmt und dann gewogen (ein Pfund Silber, ein Pfund
Heller; heute noch ein Pfund Sterling). Weil aber das jedesmalige Wiegen
sehr umständlich war, fertigte bald eine größere Gemeinschaft (Stadt, Staat)
ein bestimmtes Gewicht als Einheit und setzte als Zeichen der Garantie ihren
Stempel darauf. Wo die Geldwirtschaft streng durchgeführt ist, werden alle Ver¬
pflichtungen des einzelnen und der Gesamtheit (Einnahmen und Ausgaben) in
Metallgeld geleistet (Löhne, Gehälter, Preise der Produkte, Steuern:c.). Der
moderne Geldverkehr hat zur Vereinfachung sogar nur Anweisungen auf Metall¬
geld eingeführt, z. B. Banknoten, Postanweisungen, Schecks ic. Diese sind so
lange vollgültig, als sie durch den vorhandenen Metallbestand gedeckt sind, d. h.
jederzeit ersetzt werden können.
Lorenz, Unterstufe II. 9