Full text: Für Sexta und Quinta (Abt. 1, [Schülerband])

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auch fernerhin etwas Tüchtiges zu leisten, so werde ich euch Bischofs¬ 
sitze und andere gute Stellen geben, und ihr sollt in meinen Augen 
immer geehrt sein." Dann aber wandte er sich voll Zornes zu 
denen auf seiner Linken und erschütterte zuerst ihre Herzen mit 
gewaltiger Rede; darauf sprach er mit Spott: „Ihr Söhne vor¬ 
nehmer Eltern, ihr vertraut auf eure Verwandten, ihr achtet meine 
Gebote und eure eigene Ehre gering und jagt euren nichtigen Ver¬ 
gnügen, euren Spielen und Possen*) nach." Und als er diese 
Worte im Tone des Spottes gesprochen hatte, erhob er sein Haupt 
und seine Rechte und donnerte mit gewaltiger Stimme: „Beim 
Könige des Himmels! Ich kümmere mich nicht um eure vornehme 
Geburt und euren Putz. Wisset es wahrlich und gewiß, wenn ihr 
euch nicht aus allen Kräften bemühet, eure frühere Nachlässigkeit 
wiedergutzumachen, so sollet ihr von mir niemals etwas Gutes 
erlangen." 
22). Als König Karl in Italien verweilte, sprach er eines 
Tages zu seinen Hofleuten: „Laßt uns heute auf die Jagd gehen, 
daß uns die lange Ruhe nicht träge und untätig mache." Damit 
stand er aus und ließ den Hofleuten keine Zeit, ihre prachtvollen 
Gewänder aus lyrischem3) Purpur mit anderen zu vertauschen; es 
war nämlich Feiertag, und venetianische^) Schiffe hatten unlängst 
diese und andere Herrlichkeiten aus dem Morgenlande mitgebracht. 
Karl selbst trug einen warmen Pelz von nur geringem Werte. 
Als sie nun über Berg und Tal durch die Wälder streiften, wurden 
ihre schönen Gewänder von den Dornen zerrissen und vom Regen 
und von dem Blute der erlegten Tiere beschmutzt, und als sie des 
Abends zurückkehrten, behielt sie der König noch bis tief in die 
Nacht in seinem Dienste; dann erst durften sie in ihre Wohnungen 
heimkehren. Als sie nun ihre dünnen und feinen Gewänder ab¬ 
legten, da bestanden diese nur noch aus elenden Lumpen, und sie 
wehklagten, daß sie an einem einzigen Tage so großen Verlust erlitten 
hätten. Karl hatte ihnen aber die Weisung gegeben, am folgenden 
Tage wieder in derselben Kleidung vor ihm zu erscheinen. Als 
dieses geschah, trat er in seinem wohlerhaltenen Pelze vor sie hin 
und sprach: „Ihr Toren, welche Kleidung ist nun nützlicher, 
mein Pelz oder eure bunten Lappen, die ihr mit so teurem Gelde 
bezahlt habt?" Beschämt schlugen sie die Augen nieder und wagten 
es nicht, den zürnenden König anzuschauen. 
*) Narrheiten. — ") vgl. das Gedicht von Karl Simrock „Die Schule 
der Stutzer." (Nr. 79). — 3) aus der phönizischen Stadt Tyrus. — 4) aus 
Kr Stadt Venedig in Oberitalien.
	        
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