Weltbürgertum und Bildung moderner Nationalstaaten. 323
möglichst geschlossen austreten zu können. So hat die neuzeitliche Welt-
Wirtschaft die Volkswirtschaft zur Voraussetzung und es entstehen
die nationalen Bewegungen. Die Kulturmenschheit tritt in das
- Zeitalter des Nationalismus.
Z)ie Korderung des Nationalismus lautet: „Eine Sprache, ein
Volk, womöglich ein Staat." Natürlich geht die nationale Bewegung
nicht überall und immer auf wirtschaftliche Ursachen zurück. Auch ideale
Beweggründe, Stolz, Machtgefühl, Erinnerung an eine ehrenvolle Ver-
gangenheit n. dgl., spielen dabei eine große Rolle. Ist aber einmal
das nationale Bewußtsein erwacht, so kann es derart erstarken, daß es
sogar dem wirtschaftlichen Interesse widerspricht; wir sehen dies z. B.
an Österreich, wo die Sonderbestrebungen der einzelnen Nationalitäten
(Deutsche, ©laben, Romanen, Magyaren) das Gesamtreich nur schädigen.
Die Wildung von modernen Nationalstaaten ging in Europa nicht
gleichzeitig vor sich. In den westeuropäischen Ländern (Spanien,
Portugal, England, Frankreich) erfolgte sie früher. Es hängt das zusammen
mit den überseeischen Entdeckungen äinEnde des 15. Jahrhunderts.
Die großartige Kolonisation in erster Linie, sodann der gewaltige Auf-
schwung des Welthandels hatten die eben genannten Länder gezwungen,
in den gegenseitigen Wettbewerb möglichst einheitlich und straff organisiert
einzugreifen. Für die mittel- und südeuropäischen Völker war eine
-solche zwingende Notwendigkeit nicht in dem Maße vorhanden. Darum
fielen sie mehr und mehr auseinander, wie besonders Deutschland und Italien.
Bei dem Völkergemisch in Österreich und auf der Balkanhalbinsel konnte ein
nationaler Großstaat überhaupt nicht entstehen, weil es im Mittelalter zu
einer vollständigen Germanisierung oder Slavisierung dieser Gebiete nicht
gekommen war; deshalb mißlangen die Einheitsbestrebungen Josephs II.
Polen ging an seinen unglücklichen inneren Verhältnissen zugrunde; höchstens
im Osten vermochte sich wieder ein Nationalstaat zu bilden, nämlich Rußland.
Die Verhältnisse erheischten eine Änderung, sobald auch in Mittel-
europa, zunächst in Deutschland, das Merkantilstem durch hervorragende
Fürsten, wie Friedrich den Großen. Max III. Joseph von Bayern u. a.,
zur Einführung, ja zur Herrschaft gelangte. Zunächst schuf man geschlossene
Staatswirtschaften, innerhalb deren alle Zollschranken wegfielen und ^
einheitliche Handelsgesetze, gleiche Münzen, Maße und Gewichte zur Geltung
kamen. Sobald aber bei weiterer Erstarkung Versuche gemacht wurden, auf
dem Weltmarkt Erfolge zu erzielen, zeigte sich, daß dergleichen Wirt-
schastsgebiete den englischen und französischen gegenüber verhältnismäßig
immer noch zu klein waren. Der preußische, bayerische oder sächsische Kauf-
mann z. B. konnte in der Weltwirtschaft keine Rolle spielen; alle drei mußten
sich mit ihren Volksgenossen zusammentun und gemeinschaftlich als deutsche
Aaufteute arbeiten, wie die Väter zur Zeit der Hansa. Je mehr also in
unserem Vaterland Industrie und Handel emporblühten, desto gebieterischer
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