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mildern könne. Er brachte den Grundsatz, daß die Anschauung die Grundlage
aller Erkenntnis sei, zu allgemeiner Anerkennung und dadurch in das gesamte
Unterrichtswesen eine tiefanregende Bewegung, die in der folgenden Periode zu
voller Geltung kam.
§ 60.
Die christliche Kirche.
Während im Reformationszeitalter die wichtigeren Weltgeschichte
lichen Ereignisse von der christlichen Kirche ausgingen oder doch mit ihr im
Zusammenhange standen, tritt seit dem westfälischen Frieden der Einfluß der
Kirche auf den Staat mehr zurück.
I. Die evangelische Kirche.
1. Äußere Schicksale. Im nördlichen Europa, in England und Holland zur Herr-
schaft gelangt, hatte die evangelische Kirche im Deutschen Reiche und in Frankreich
zwar die gesetzliche Anerkennung ihres Bestehens erlangt, wurde aber hier gleichwohl von
der katholischen Obrigkeit vielfach bedrückt und in ihrem Umfange einge-
schränkt. So suchte sie Ludwig XIV. durch harte Gewaltmaßregeln in Frankreich
auszurotten; in S alzburg vertrieb der Erzbischof Graf Firmian (1731) die Evangelischen
aus seinem Gebiet (S. 138); in Ungarn wurde durch lange fortgesetzten Druck ihre Zahl
um mehr als die Hälfte vermindert, in den andern österreichischen Erbländern der
evangelische Gottesdienst völlig aufgehoben. Erst Kaiser Joseph II. stellte diesen wieder
her und erteilte den Evangelischen staatsbürgerliche Rechte.
2. Pietisten und Herrnhuter; Quäker und Methodisten. In der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts lagen Lutheraner und Reformierte in bitterem Streite miteinander;
im Eifer für die reine Lehre überschätzte man das äußere Bekenntnis und vergaß darüber
die Heiligung des Herzens und die Übung der Liebe, durch welche der Glaube sich thätig
erweisen soll. Spener (geb. 1635 zu Rappoltsweiler im Elsaß, gest. 1705 zu Berlin)
wußte eine lebendige, liebes eifrige Frömmigkeit anzuregen, die mit dem Namen
des Pietismus bezeichnet wurde. Ihm schloß sich August Hermann Franckean, der
dasHallef che Waif enhaus gründete. Als eine inniger verbundene Gemeins chaf t inner¬
halb der evangelischen Kirche entstand durch den Grafen Zinzendoxf (gest. 1760) zu Herrn¬
hut in der Lausitz die evangelische Brüdergemeide, die insbesondere für die Aus¬
breitung des Christentums unter den Heiden (Mission) gewirkt hat. In
England trennte sich von der herrschenden Kirche die von Georg Fox gegründete Sekte
der Quäker, welcher William Penn angehörte, der Stisker des Staates Pennsyl-
vamenln Nordamerika. Gleichfalls in England ging aus einem Vereine frommer Männer,
die sich um John Wesley sammelten und wegen ihres pedantisch heiligen Lebens
Methodisten'genännt wurden, eine mächtige religiöse Erregung für England
undlnämentfich für Nordamerika hervor.
3. Die Aufklärung. Gleichzeitig trat aber auch, vornehmlich unter den höheren
Ständen, Gleichgiltigkeit gegen die Kirche und selbst Abfall von den Lehren des Christen-
tums ein. Zuerst in England bekämpften sogenannte Freigeister den alten Bibel-
glauben; dann verbreitete sich der Widerspruch gegen die Lehren des Christentums von
Frankreich aus allmählich auch über Deutschland. Der Abfall von dem Althergebrachten,