Full text: Aus dem Altertum, dem Mittelalter und der Reformationszeit bis zum Dreißigjährigen Kriege (Bd. 1)

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Die Geschichte des Mittelalters 
der massenhaften Auswanderung den Anlaß gegeben haben. Wir finden 
solche Motive bei den erobernden Fürsten, die zur Kolonisation 
aufforderten und bei den deutschen Bauern, die der Aufforderung 
Folge leisteten. 
Die Fürsten konnten sich mit der bloßen Beherrschung der unter¬ 
worfenen Slaven nicht begnügen. Den Opfern und Mühen des Krieges 
entsprach nicht der Erfolg, den ihnen der Besitz der neuen Länder brachte 
Denn die Slaven standen nicht bloß in geistiger, sondern auch in wirt¬ 
schaftlicher Beziehung auf sehr niedriger Kulturstufe. Eine Ausnutzung 
des eroberten Gebietes mit der eingeborenen Bevölkerung war also eine 
Unmöglichkeit. Den Slaven fehlte nicht bloß die Ausdauer der Arbeit, 
sondern auch Verständnis und Interesse für die wirtschaftliche Ausnutzung 
des Landes. Mit ihrem Hakenpfluge konnten sie den kargen, leichten 
Boden nur mangelhaft bearbeiten; uud dürftig mußten die Erträge sein. 
Alles, was sie dem Landesherrn geben konnten, war doch nur ein recht 
ärmlicher Tribut. Also im Interesse der Ausnutzung des ge¬ 
wonnenen Landes suchten die Eroberer deutsche Landleute 
nach dem Osten zu ziehen, die sich die schwere Arbeit nicht verdrießen 
ließen, die Wälder zu roden, die Brüche zu entwässern und deutsches- 
Wirtschaftsleben in die fremde Wildnis zu verpflanzen. Vor allem be¬ 
durften die Fürsten der deutschen Arbeiter in solchen Gegenden, in denen 
der Bergbau sich lohnte. Die Bergwerksarbeit verstanden die Slaven noch 
nicht, und so mußte namentlich den Markgrafen von Meißen die Ein¬ 
wanderung thüringischer Bergleute willkommen sein (die Städte im Erz¬ 
gebirge). Und wie ein gewaltiger Strom flutete die deutsche Bevölkerung, 
aus dem Mutterlande nach dem fernen Osten; eine Auswanderung war 
es, welche im deutschen Lande nie wieder in solcher Ausdehnung vorge¬ 
kommen ist wie von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. 
Was bewog nun die deutschen Bauern, ihre Heimat zu 
verlassen? Noch war ja nicht die Zeit, da der Bauernstand unter dem 
Drucke der Verhältnisse, unter der Aussaugung der Herrn, unter der 
bitteren Armut und härteren Behandlung seufzte; es gab selbst recht 
wohlhabende Bauern, wie wir es an Meier Helmbrecht sehen. Es waren 
in der Tat ideale Motive, die den deutschen Landmann dazu trieben, die 
Heimat zu verlassen. Der geistige Fortschritt, den die Kreuzzüge gebracht 
haben, offenbart sich in dem kraftvollen Streben des deutschen 
Bauern nach größerer wirtschaftlicher, sozialer und recht¬ 
licher Freiheit. 
Besonders drückend empfand er den wirtschaftlichen Zwang, der mit 
der eigentümlichen Flurverfassung verbunden war und jeden wirtschaft¬ 
lichen Fortschritt unmöglich machte, weil er die Ausbildung individueller
	        
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