Full text: Vom Westfälischen Frieden bis auf unsere Zeit (Bd. 2)

Geschichte des brandenburgisch-preußischen Mittelstaates von 1648—1740 79 
erst durch Werbungen, meistens im Auslande, zusammengebracht, da die 
gewaltsamen inländischen Werbungen die Auswanderung beförderten und 
den ländlichen und gewerblichen Berufsklassen zu viel Kräfte entzogen. 
Da aber in dem gewaltsam geworbenen und mit Grausamkeit zusammen- 
gehaltenem Heere eine höhere Auffassung von Soldatenpflicht und mili- 
tärischem Dienst nicht durchzusetzen war und überdies das Werbegeschäft 
dem Staate jährlich an 1—2 Millionen Taler kostete, so hat Friedrich 
Wilhelm, begeistert für den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht, in den 
letzten Jahren ein neues Rekrutierungssystem durchzuführen gesucht, näm- 
lieh durch das bekannte Kantonreglement (1733). Das Land wurde nach 
Bezirken eingeteilt und diese den einzelnen Regimentern zur Ergänzung 
angewiesen mit der Bestimmung, daß jeder Bürger und Bauer mit ge- 
wissen Ausnahmen und mit Berücksichtigung der Abkömmlichkeit beim 
bürgerlichen Gewerbe und dem Landbau kriegsdienstpflichtig sei. Wer 
und wie viele wirklich ausgehoben wurden, war allerdings gänzlich will- 
kürlich und unbestimmt, und die unvollkommene Einrichtung hatte sehr 
viele Mißbräuche und Unbilligkeiten im Gefolge, war aber ein verheißungs- 
voller Anfang, an Stelle des Söldnerwefens ein nationales Wehrfystem 
zu setzen. 
d) Welche Bedeutung hatten diese militärischen Ein- 
richtnngen Friedrich Wilhelms I. für Staat und Volk? 
Sie sind von großem Einfluß für die Erziehung des Volkes, die 
Bildung des Offizierstandes und die Stellung des Königs. 
Wenn die allgemeine Wehrpflicht auch noch nicht durchgeführt wurde und 
das Heer sich noch lange aus zwei verschiedenartigen Bestandteilen zu- 
sammeusetzte, den ausgehobenen Landeskindern und den geworbenen 
Soldaten, so verbreitete sich doch allmählich im ganzen Volke die Auf- 
fafsung, daß die Dienstpflicht eine Ehrenpflicht ist. Ein gemeinsames Band 
umschlingt alle Söhne des Landes, die die Waffen zusammen getragen, 
gemeinsame Erfahrungen und gemeinsame Erlebnisse in der Dienstzeit ge- 
macht haben, und ein Gefühl vaterländischen Stolzes ist, wenn auch lang- 
sam, durch den Waffendienst im Volke verbreitet worden. Der Heeres- 
dienst wurde schon damit eine vortreffliche Erziehungsschule des Volkes. 
Da es meistens Söhne des so sehr bedrückten Bauernstandes waren, die 
ausgehoben wurden, so bedeutet die zeitweise Entfernung aus den drücken- 
den heimatlichen Verhältnissen nicht nur eine geistige Förderung und per- 
sönliche Befreiung, eine Erweiterung des Gesichtskreises und ein Kennen- 
lernen der staatlichen Einrichtungen, sondern auch eine sittliche Hebung 
der niederen Volksklasse durch die Stärkung des Selbstgefühls und die 
Gewöhnung an Zucht und Ordnung. — Von der größten Wichtigkeit 
wurde ferner die Heereseinrichtung Friedrich Wilhelms I. für den preußi-
	        
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