Full text: Lesebuch für Mittel- und Oberklassen gehobener Mädchenschulen

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37. Salze. 
Als unscheinbares Geschenk des Erdenschoßes sprudelt die Salz¬ 
quelle an'ö Tageslicht, aber sie enthält ein kostbares Gut, werth¬ 
voller als die gesammten Edelsteine mit all' ihrer Herrlichkeit. Es 
ist nicht eitles Geschmeide, nicht prunkender Luxus und Tand, nicht 
ein Gegenstand verweichlichender Bequemlichkeit und Verwöhnung, 
was die Quelle aus der Tiefe bringt, sondern die nicht zu missende 
Beigabe und Würze der Speisen, ein nothwendiges Mittel zur Er¬ 
haltung und Gedeihlichkeit unseres Körpers. Seit den ältesten 
Zeiten ist das Salz in Gebrauch, und täglich, mag die Mahlzeit 
reich oder spärlich bereitet werden, darf es ebenso wenig fehlen, als 
das Wasser zum Trank oder die Luft 'zum Athmen. Nebstdem be¬ 
friedigt es unzäblige Bedürfnisse durch seine wichtige Anwendung in 
der Hand des Menschen. Wo aber hat der weise, gütige Baumeister 
und Herr der Welt die Vorrathshäuser errichtet, aus denen die 
Völker der Erde seit so langer Zeit schon die kostbare Spende des 
Salzes beziehen? Da, wo des Bächleins Wiege steht, aus welcher es 
so munter, klar und frisch in die Welt läuft und Wohlthaten aller 
Art ertheilt, hier die Würzelchen der Gewächse, dort den Menschen 
oder das durstende Thier tränkt, bald ausgelassen über den Abhang 
setzt, und bald wieder in der Ebene verweilt, gleichsam um auszu¬ 
ruhen und der Welt ruhig in's Auge zu schauen. 
Große Lager von Salz, felsenfest, befinden sich an verschiedenen 
Orten des Innern der Erde und bilden das Steinsalz, welches 
in großen, fast durchsichtigen Würfeln, bald farblos, bald herrlich 
blau oder rosa gefärbt vorkommt. Von allen Salzbergwerken der 
Erde ist keines so groß, als jenes unter Wieliczka, dem kleinen in¬ 
mitten eines Gebirgskessels liegenden Bergstädtchen der Karpathen. 
Die älteren Gruben befinden sich theilweise beinahe unmittelbar unter 
der Stadt. Der reiche Steinsalzschatz, schon über sechs Jahrhunderte 
entdeckt, ist jedoch keineswegs auf diesen Ort allein beschränkt; denn 
man hat nach verschiedenen Richtungen bin Lagerungen aufgefunden 
und so eine Ausdehnung von 100 Meilen lang, 20 Meilen breit 
und 1200 Fuß Dicke berechnet, so daß es scheint, als zöge eine un¬ 
geheure Salzmasse unter dem Fuße der Karpathen her. Der Bail 
zu Wieliczka hat mehr als die zweifache Höhe des Stephansthurmes 
in Wien; alle Gänge, Stollen und Gruben zusammen sind an 86 
Meilen lang, und in der Tiefe, welche 300 Fuß unter dem Meeres¬ 
spiegel liegt, beschäftigen sich 800—900 Menschen, die jährlich 
1 Million Centner Salz an das Tageslicht fördern. Ueber das unter¬ 
irdische emsige Leben, die Ordnung und Einrichtung jm Bergwerke, 
den Gottesdienst in der aus Salz gehauenen Kapelle mit Bänken, 
Kanzel, Ampeln, Leuchtern, Altar und was zur Kirche gehört — 
diese Geräthe sind ebenfalls aus Salz gefertigt — ließe sich sehr viel 
Interessantes erzählen. Merkwürdig ist, daß in den Gruben eine 
auffallende Trockenheit herrscht. Holz, welches man zum Auszim¬ 
mern, zur Sicherung gegen Einstürze gebraucht, erhält sich unver¬ 
dorben, während solches in andern Bergwerken oft nach Verlauf 
von 20 Jahren schon vollkonimen zerstört ist. 
Groß ist der Salzreichthum des deutschen Vaterlandes, besonders
	        
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