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wir gezwungen, Getreide vom Ausland einzuführen, da die einheimische Land-
Wirtschaft nicht so viel Getreide liefern kann, als unser Volk zu seiner Ernährung
bedarf. Um nun diesen Handelsverkehr unseres Volkes mit andern Völkern
möglichst zu fördern, zugleich aber auch die Erzeugnisse unserer Landwirt-
schaft und unserer Industrie gegen die Konkurrenz des Auslandes zu schützen,
hat das Deutsche Reich mit andern Staaten Handelsverträge abgeschlossen,
in denen genau festgesetzt ist, welcher Zoll für die einzelnen Waren bezahlt
werden muß, die bei uns eingeführt oder von uns ausgeführt werden.
6. Geistiges Leben. Der Entwicklung unseres Schulwesens hat unser
Kaiser vom Anfang seiner Regierung an großes Interesse entgegengebracht.
Von allen Schulen erwartet er, daß sie Vaterlandsliebe und Gottesfurcht
pflegen und die Jugend anhalten, zu den großen Männern unserer Geschichte
als zu ihren Vorbildern aufzuschauen. — Unter seiner Regierung ^wurde
Berlin mit hervorragenden Bauwerken und Denkmälern geschmückt. In der
Nähe des Brandenburger Tores erhebt sich das von Wallot erbaute Reichs-
tagsgebäude. Die Denkmäler Kaiser Wilhelms I., Bismarcks und Moltkes
sollen den späteren Geschlechtern die Gestalten der Männer vor Augen stellen,
die die deutsche Einheit geschaffen haben. Zu beiden Seiten der Siegesallee
hat unser Kaiser die von Künstlerhand geschaffenen Marmorstandbilder aller
Herrscher aufstellen lasten, die von Albrecht dem Bären bis zu Kaiser Wilhelm I.
über Brandenburg und Preußen geherrscht haben. Auch in andern Städten
unseres Vaterlandes werden Kunst und Wissenschaft gepflegt.
7. Erwerbungen. Die kaiserliche Regierung war auch darauf bedacht,
unseren Kolonialbesitz zu mehren. Im Jahre 1897 bot sich eine günstige
Gelegenheit, an der chinesischen Küste festen Fuß zu fassen. Als nämlich dort
zwei deutsche Missionare ermordet worden waren, wurde die Bucht von
Kiantschon mit der Stadt Tsingtan von einem deutschen Geschwader
besetzt. Bald darauf trat der Kaiser von China in einem Pachtvertrag dieses
Gebiet, etwa 400 qkm, aus vorläufig 99 Jahre an Deutschland ab. Damit
war in Ostasien für unsere Flotte und unseren Handel ein fester Stützpunkt
gewonnen. Die Stadt Tsingtan nahm einen raschen Aufschwung, und durch
die Schantungeisenbahn, die von deutschen Ingenieuren erbaut wurde, suchte
man die reichen Kohlenlager des chinesischen Hinterlandes zu erschließen.
Einige Zeit später erwarb Deutschland auch die Marianen, die Palan-
inseln, die Karolinen und die Samoainseln mit Ausnahme der kleinsten.
1911 wurde ihm durch den Marokkovertrag ein Teil des französischen Kongo-
gebiets zugesprochen.
8. Kämpfe in fremden Ländern, a) Kämpfe in China. Im Jahre
1900 brach in China ein Aufstand aus, der sich gegen die Fremden und die ein-
heimischen Christen richtete. Unter entsetzlichen Martern wurden gegen 300
Europäer und 30000 christliche Chinesen getötet. Die kaiserliche Regierung
tat nichts, um diesen Greueltaten ein Ende zu machen. Zum Glück ließen
die fremden Gesandten noch rechtzeitig eine Schntzwache von 400 Mann von
den vor den Taknforts bei Tientsin ankernden europäischen Kriegsschiffen nach
Peking kommen, um sich gegen die Aufrührer verteidigen zu können. Was sie
Kahnmeyer u. Schulze, Geschichte für Mittelschulen. HI. 18