112. Der Deutsch-französische Krieg. 1870—1871. 415
Brief, dessen kurzer Inhalt lautete: „Da ich nicht inmitten meiner
Armee habe sterben können, so übergebe ich Ew. Majestät meinen Degen".
In der Nacht fanden Verhandlungen der Heerführer über die Kapi-
tulation der Armee statt; sie wurde am nächsten Morgen abgeschlossen
und unterzeichnet. Die feindliche Armee, etwa 83 000 Mann, mit dem
Kaiser ergab sich. 25 000 Mann waren bereits während der Schlacht
gefangen genommen. Der gefangene Kaiser hatte am frühen Morgen
des 2. September Sedan verlassen und eine Unterredung mit Bismarck
und sodann mit König Wilhelm in dem Schlößchen Bellevue gehabt.
Dann ging er mit allen seinen Hofleuten, Pferden und Wagen als
Gefangener nach Wilhelmshöhe bei Kassel. An Kriegsbeute wurden
3 Fahnen, 400 Feld- und 150 Feftungsgeschütze, 66 000 Gewehre,
über 1000 Wagen und 10 000 Pferde gewonnen. Die Nachricht von diesem
Siege erschütterte die Welt. „Welch eine Wendung durch Gottes
Führung!" telegraphierte König Wilhelm an seine Gemahlin.
c. Der Sturz des französischen Kaisertums. Auf die
Nachricht von Sedan brach in Paris ein Aufstand aus (4. September);
das Kaisertum wurde abgeschafft und die Republik ausgerufen; die
Kaiserin Eugenie flüchtete nach England. Die republikanische Re-
gierung beschloß, den Krieg mit allen Kräften fortzusetzen; sie erklärte,
„keine Scholle Landes, keinen Stein der Festungen" abtreten zu wollen.
Mit staunenswerter Raschheit brachte der Diktator Gambetta neue
Heere zusammen. So begann nunmehr der zweite Abschnitt des
Krieges, der Kampf gegen die Republik; in ihm handelte es sich
hauptsächlich um die Belagerung und den Entsatz der großen Festungen,
Straßburg, Metz, Belsort und Paris. Noch vier Monate lang
wurde der Kampf fortgesetzt.
7. Der Belagerungskrieg. a. Die Einschließung von
Paris. Sofort nach dem Siege von Sedan marschierten die deutschen
Truppen nach Paris und begannen die Stadt von allen Seiten ein-
zuschließen (19. September): die dritte Armee stand im Süden und
Westen, die vierte Armee im Norden und Osten. Der König
Wilhelm hatte sein Hauptquartier in Versailles genommmen.
Die Einschließungsarmee zählte anfangs nur 150000, später etwa
250000 Mann. Paris, die größte Festung der Welt, war mit Wällen
und zahlreichen (16) Forts umgeben; ihre Werke umfaßten einen nn-
geheuren Raum (ihr Ringwall maß 7 Stunden im Umfang, der Kreis
der Außenforts 12 Stunden!), so daß die Belagerung von Paris
einen so großen Teil der deutschen Heere festhielt, daß zum Kampf
gegen die in den Provinzen neugebildeten Heere meist nur Verhältnis-
mäßig schwache Abteilungen verfügbar waren. Die Zahl der Ver-
leidiger mochte sich auf 400000 Mann belaufen, die freilich nur zum
kleinen Teile wirklich kriegstüchtig waren. Die Stadt war mit Lebens¬
mitteln sehr gut versehen, so daß sich die Hoffnung, daß der Hunger
sie bald zur Uebergabe zwingen werde, nicht erfüllte. Länger als vier
Monate widerstand das umzingelte Paris.
b. Die Belagerung und Uebergabe Straßburgs. Die
Belagerung Straßburgs, die General von Werder gleich nach der