Die Ursachen der Revolution. 61
rief. Die Parlamente, besonders das Pariser, konnten nicht als Vertretung
des Volkes^gelken;fömfjte fetzten sich aus Mitgliedern vornehmer Beamtenfami¬
lien zusammen und waren nur auf die Erhaltung ihrer Privilegien bedacht. — In¬
folge der Bestechlichkeit der Beamten sank das Vertrauen auf die Ehrlichkeit der
Verwaltung und durch die oft willkürliche Rechtspflege, besonders durch die An¬
wendung der lettres de cachet (S. 4) wurde das persönliche Sicherheitsgefühl im
Volke ertötet. Dazu kamen das unwürdige Hofleben unter Ludwig XV., die un¬
glückliche äußere Politik it. dgl. (S. 59).
2. Soziale und wirtschaftliche Ursachen. Aufreizend auf die Volksstimmung
wirkte vor allem die ungleiche Verteilung der staatlichen Rechte und Pflichten
(Lasten). Die gutbezahlten Ä m t e r in Staat und Heer, teils erblich teils käuflich,
waren in den Händen der bevorrechteten Klaffen. Dabei wurden sie gewöhnlich
nur als Mittel sich zu bereichern betrachtet. Der Adel und dieh ö h e r e^) G e i st -
lichk eit (meist ebenfalls adelig), zusammen noch nicht V4 Million Köpfe, besaßen
etwa zwei Drittel des Grund und Bodens, die große Masse der B ü r g e r und
Bauern, ungefähr 25 Millionen, ein Drittel. Trotzdem zahlten Adel und Geist¬
lichkeit nur eine ganz geringe Steuer. Die wichtigste der direkten Steuern,
die Grund-und Vermögenssteuer (taille), lastete fast ausschließlich aus dem Bauern¬
stand und betrug oft die Hälfte des Ertrages eines Bauerngutes. Daneben mußten
die Bauern noch an den Gutsherrn und an die Kirche je ein Siebentel des Ertrages
entrichten, behielten also häufig kaum ein Viertel ihres Einkommens für sich und
ihre Familien. Allerdings waren die Verhältnisse nicht überall gleich: in der Ven-
dee z. B. und in der Bretagne lagen sie für die Bauern günstiger. Die indirekten
Steuern, wie die Salzsteuer und die Getreidezölle, drückten auf die Armen natur¬
gemäß schwerer als auf die Wohlhabenden. Überdies wurden die Steuern durch
Generalpächter eingetrieben, die sich nebenbei bereicherten und aus den
Steuerpflichtigen bedeutend mehr herauspreßten, als sie selbst an den Staat
bezahlten. — Handel und Gewerbe litten besonders unter den inneren Zollschranken
zwischen den Provinzen und dem Zunftzwang: Geschäft und Handwerk ver¬
erbten sich oder wurden von der Zunft verliehen, bei der Gunst und Geld den
Ausschlag gaben.
3. Geistige Ursachen. Die überhandnehmende Unzufriedenheit mußte um so
leidenschaftlicher werden, je Mehr durch die Aufklärungsliteratur (S. 43) eine
gegen jede Freiheitsbedrückung sich auflehnen^NMe^eltänsHauung'irn^olke
Boden gewann. Montesquieu schärfte weiten Kreisen den Blick für die
staatlichen Mißstände, V 0 l t a i r e für die kirchlichen, Rousseau für die ge¬
sellschaftlichen: von allen Seiten rüttelte man an den Grundlagen des Bestehenden.
Anlaß und Beginn der Revolution.
1. Die Reformverfuche Ludwigs XYI. Angesichts der bedenklichen
Lage und der Notwendigkeit von Reformen fehlte es dem Königtum weder
an Einsicht noch an gutem Willen. Auch waren die Bevorrechteten zu
Opfern bereit. Doch über die Art und den Umfang dieser Opfer gingen
die Meinungen der Beteiligten so weit auseinander, daß alle Reform»
versuche Ludwigs scheiterten.
x) Die niedere Geistlichkeit lebte zum großen Teil in Armut.