66 Die Entwicklung der Französischen Revolution ic.
Gleichheit aller Franzosen zu erzielen, beschloß man die Abschaffung aller Ltandes-
unterschiede, besonders des Adels, dann der Titel, Wappen u. dgl. Fortan gab es
nur „Bürger"; so nannte sich z. B. der eifrig demokratische Herzog von Orleans
„citoyen Egalite“ (Bürger Gleichheit).
Überaus bedeutungsvoll wurden die kirchliche Neuordnung und die damit zu¬
sammenhängende Finanzreform. Nach Aufhebung der Klöster und Neugestaltung
der Bistümer (im Anschluß an die Departements) schritt man zur Einziehung der
Kirchengüter und zur Besoldung der Geistlichen durch den Staat. Alle Priester
sollten die (neue) Zivilverfassung der Kirche beschwören, obwohl sie der Papst
verworfen hatte. Da die Mehrheit der Geistlichen sich weigerte, gab es hinfort b e -
e i d i g t e und u n b e e i d i g t e P r i e st e r; die letzteren standen beim gläu¬
bigen Volke in höherem Ansehen. Das eingezogene Kirchengut und die verlassenen
Besitzungen der Emigranten erklärte man für N a t i o n a l d o m ä n e n und gab
schriftliche Anweisungen auf sie (Assignaten) als Papiergeld aus. Natürlich hätte
beim allmählichen Verkaufe der Domänen die entsprechende Anzahl der Assignaten
durch Bargeld eingelöst werden müssen. Weil dies aber nicht geschah und die Re¬
gierung dergleichen Geldscheine im Übermaß ausgab, verlor das Volk alles Zutrauen
zu den Assignaten und verweigerte deren Annahme. Somit wurde der S t a a t s -
bankerott unabwendbar.
Noch ehe die Reformen ganz abgeschlossen waren, feierte man in
Paris unter Anwesenheit des Hofes, der Nationalversammlung, der National-
1790 garden und einer jubelnden Volksmenge ein großartiges Verbrüderuugs-
14. Jul. mit allgemeiner Eideslei st ung auf die Verfassung
(am ersten Jahrestag des Bastillesturms).
Weil indes das wirtschaftliche Elend der Massen andauerte, verflog die Begei¬
sterung rasch wieder und das durch Volksredner und Zeitschriften verhetzte Volk riß
die Leitung der Polizei und der Rechtspflege an sich. Von den Zeitschriften wirkte
wohl am verderblichsten der „Volksfreund" („L/ami du peuple“) des gemeinen
und blutdürstigen Arztes M a r a t. Noch verhängnisvoller wurde die aufreizende
Tätigkeit der demokratischen Klubs, die man nach den ehemaligen Klöstern, in denen
sie sich versammelten, Jakobiner (Dominikaners) und Cordeliers (Strickträger
— Franziskaner) nannte. An der Spitze der letzteren, die übrigens nur eine Abzwei¬
gung der Jakobiner waren, standen außer D e s m o u l i n s (S. 63) der redege¬
waltige, den Pöbel beherrschende Danton und der lasterhafte Orleans („Bür¬
ger Egalite"); die Jakobiner führte u. ct. der im Privatleben einfache und bedürfnis¬
lose, aber als Politiker ehrgeizige, hinterlistige und grausame Robespierre.
Übrigens waren die Jakobiner wie die Cordeliers fanatische Republikaner.
4. Tas Ende der Konstituierenden Nationalversammlung. Angesichts
der wachsenden umstürzlerischen Bestrebungen reifte beim Königspaare
der Plan, ins Ausland (nach Belgien) zu fliehen, zumal der Minister
11791 Necket Frankreich ebenfalls verlassen und die Monarchie durch den Tod
91)3111 Mirabeaus ihre einflußreichste Stütze in der Nationalversammlung ver¬
so. Juni loren hatte. Doch wurde der Fluchtversuch der Königsfamilie mit solcher
x) Das Dominikanerkloster lag nämlich in der Rue Saint Jacques; deshalb hießen die
betreffenden Mönche les Jacobines.