Soziale Verhältnisse. VII
durch Geburt verwandt). Wird das Zusammenleben durch bestimmte Gesetze,
Rechte und Pflichten geordnet, so entsteht ein Gemeinwesen (res publica)1),
eine Gemeinde. Manchmal nur eine, meistens aber mehrere Gemeinden bilden
einen Staat (griechisch poüs = Stadt, da bei den Griechen die Begriffe Stadt
und Staat ursprünglich gleichbedeutend waren). Die Kunst, den Staat zu lenken
und zu verwalten, heißt man Staatskunst (Politik), denjenigen, der diese Shmft
versteht und ausübt, Staatsmann. Die Leitung der inneren Verhältnisse eines
Staates nennen wir innere Politik, die des Verhältnisses eines Staates zu anderen
Staaten äußere Politik. Je nach der Art der Leitung unterscheidet man folgende
Staatsformen:
I. Monarchie (Einherrschaft). Hier ruht die Staatsgewalt (Souveränität)
in der Hand eines einzelnen (Fürst, König, Kaiser 2c.), der sie durch seine Diener
(minister) und Beamten ausübt. Ist die Herrschaft des einzelnen unumschränkt,
heißt sie absolut (--abgelöst, nämlich von der Zustimmung und Mitregierung
des Volkes). Hält sich der absolute Monarch wenigstens an die von ihm selbst ge-
gebenen Gesetze, so erscheint diese Regierungsform als Autokratie (Selbst-
Herrschaft); herrscht er aber nach bloßer Willkür, so spricht man von Despotie
(bei asiatischen und afrikanischen Staaten). Ist jedoch der Monarch an die Mit-
bestimmung des Volkes gebunden, sprechen wir von einer Verfassung (constitutio)
und nennen diese Regierungsform konstitutionelle Monarchie.
II. Republik. In der Republik ruht die Staatsgewalt beim Gesamtvolk,
das sie durch seine Vertreter ausüben läßt; das Volk ist souverän. Liegt die Herr-
schaft vorzugsweise in den Händen der Vornehmen (des Adels), die sich zugleich
auch die „Besten" nennen (optimi, Optimalen, aristoi), spricht man von Aristo-
trotte; liegt die Herrschaft mehr bei der großen Masse (demos), führt die Staats¬
form den Namen Demokratie. Gerät die Herrschaft ganz in die Hände der
untersten Volksschichten, so bezeichnen wir den Zustand als Pöbelherrschaft
(Ochlokratie).
Da sowohl Monarchie als Republik ihre Vorzüge besitzen, hat unsere Zeit
eine Regierungsform gefunden, welche die Vorteile beider möglichst vereint,
nämlich die konstitutionelle Monarchie. Hier verkörpert sich die Staatsgewalt
im Fürsten; dieser ist „Heilig und unverletzlich" (sacrosanctus) und kann für seine
Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden; seine Person ist durch besondere
Gesetze geschützt, seine Würde meist nach dem Erstgeburtsrecht erblich. (Die Wahl-
Monarchie ist wegen der damit verbundenen Schattenseiten, z. B. Wahlumtriebe,
Bestechungen, Thronkämpfe, allmählich verschwunden.) Der Fürst übt die Re¬
gierung durch die Minister aus, welche der Volksvertretung gegenüber für die
Regierungshandlungen teilweise verantwortlich sind. Die Volksvertretung setzt sich
in der Regel aus zwei „Häusern oder Kammern" zusammen, dem Unterhaus
(Abgeordnetenkammer, Reichstag) und dem Oberhaus (Herrenhaus, Reichs-
rat)2). Die Mitglieder des Unterhauses werden vom Volke in gewissen Zwischen-
räumen (3—6 Jahren) neu gewählt; die Mitglieder des Oberhauses sind teils
erblich (Angehörige der regierenden fürstlichen Familie und hervorragender Adels-
x) Das Wort „Republik" hat später seinen allgemeinen Sinn eingeschränkt und
bedeutet jetzt ein Gemeinwesen, in dem die Herrschaft bei der Gesamtheit liegt, weil eben
das römische Gemeinwesen lange Zeit so eingerichtet war.
2) Diese Namen wechseln manchmal ihre Bedeutung; so heißt z. B. in Bayern
das Oberhaus „Reichsrat", in Österreich das Unterhaus.