Full text: Geschichte des Mittelalters bis zum Westfälischen Frieden (H. 2)

Deutsches Leben in Stadt und Land. 
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2. Deutsches Leben in Stadl und Land. 
Gegen die neuen Waffen mußten die Stadtmauern verstärkt und durch 
Wälle mit Bastionen gedeckt werden. An den dazu nötigen Mitteln fehlte 
es nicht. Denn trotz des veränderten Weltverkehrs nahmen Handel und 
Wohlstand nicht ab. Die Kaufleute beeilten sich, an dem Verkehr mit 
der Neuen Welt teilzunehmen. Einer, Welser in Augsburg, gründete 
sogar eine deutsche Ansiedlung in Venezuela, die indes die Spanier bald 
an sich rissen. Seine Familie und die der Fugger in Augsburg gehörten 
zu den reichsten des 16. Jahrhunderts, und viele Fürsten zählten zu ihren 
Schuldnern. Karl V. liehen die beiden Kaufhäuser zwölf Tonnen Goldes. — 
Ein Reimspruch aus dieser Zeit, der die Herrlichkeit der Städte feiert, lautet: 
Hätt' ich Venediger Macht und Augsburger Pracht 
Nürnberger Witz und Straßburger Geschütz 
und Ulmer Geld, so war' ich Herr der ganzen Welt. 
Der Wohlstand der Städte tat sich kund in behaglichem Wohlleben 
und üppigen Festen. Die Wohnungen wurden im Geschmack der Re- 
naissance ausgestattet. Die Trachten wiesen große Mannigfaltigkeit auf; 
in der ersten Hälfte des Jahrhunderts kleidete man sich nach der französischen 
Mode, in der zweiten Hälfte nach der spanischen. Auf Speise und Trank 
verwandte man viel Sorgfalt, wie schon das Häusigerwerdeu von Koch- 
büchern zeigt; die stark gewürzten Speisen und Weine des Mittelalters 
wurden noch bevorzugt. Unter den Festlichkeiten waren im mittleren 
Bürgerstande die Schützenfeste am meisten beliebt. 
Ein solches war das Straßburger Freischützen, das Fischart in seiner 
Dichtung „Das glückhaft Schiff von Zürich" verherrlicht hat. Die Züricher fuhren 
frühmorgens zu Schiffe ab und nahmen einen Topf mit heißem Hirsebrei mit, der abends, 
als sie in Straßburg ankamen, noch warm war. Sie wollten den Straßburgern be- 
weisen, daß sie ihnen im Notfalle zu Hilfe eilen könnten, ehe ein Hirsebrei kalt würde. 
Die Tätigkeit der bürgerlichen Frauen richtete sich infolge des Wohl- 
standes mehr als früher auf geistige Interessen. Viele Mädchen und Frauen 
lernten sogar Latein, und an den religiösen Streitfragen nahmen sie in 
Schriften und Gesprächen lebhaften Anteil. — Ein Muster an Bildung und 
Tugend war Philippine Welser. Mit ihr vermählte sich trotz aller 
Schwierigkeiten, die der Standesunterschied bereitete, der Erzherzog Ferdinand, 
der Sohn des nachmaligen Kaisers Ferdinand. — Aus edlem Bürgergeschlechte 
stammte auch Barbara Uttmaun, die Gemahlin eines Bergherrn in Anna- 
berg. Sie wurde die Wohltäterin der verarmten Bevölkerung des sächsischen 
Erzgebirges, indem sie die Brabanter Spitzenklöppelei lehrte und damit einen 
neuen, einträglichen Erwerbszweig einführte. 
Die Bauern lebten großenteils in harter Leibeigenschaft und klagten 
über neue Fronden und Lasten; die Ritter beschäftigten sich mit Jagd und 
Trunk, mit Fehden und Raubzügen; die Fürsten waren wenig geneigt, sich 
dem Kaiser unterzuordnen, und diesem lag sein Hausbesitz, auf dem seine 
Macht beruhte, mehr am Herzen als das Wohl des Reiches. 
Christensen u. Suhr, Geschichte für Mittelschulen. II. B. 7
	        
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