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Das Mittelalter.
Rückblicke.
1. Schwächung der Reichseinheit. Die Herzogtümer waren schon beim
Aussterben der sächsischen Kaiser erblich. Später gingen auch die kleinen
Lehen ohne weiteres vom Vater auf den Sohn über. Unter den Hohen-
stansen nahm ihre Zahl außerordentlich zu. Die großen Herzogtümer
wurden nämlich seit Friedrich Barbarossa in viele kleine Gebiete zerschlagen,
mit denen dann weltliche oder geistliche Herren (Grafen, Fürsten, Ritter —
Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte) belehnt wurden; auch einige Städte erhielten
bereits die Reichsunmittelbarkeit (Reichsstädte). Alle diese Gebiete waren
beim Aussterben der Hohenstaufen fast selbständige Kleinstaaten geworden,
die miteinander Verträge schlössen oder auch Krieg führten.
Der Kaiser war ganz von der Treue der Reichsfürsten abhängig.
Da sich nun unter diesen bei jedem Thronwechsel Unzufriedene fanden,
die die Wahl nicht anerkannten, so kam Deutschland aus den Empörungen
und Bürgerkriegen gar nicht heraus. Das Reich war der inneren Auf-
lösung nahe; mit Deutschlands Stellung als Weltmacht war es vorbei.
Daß es so weit kommen konnte, hatte zum Teil seine Ursache in dem
undeutschen Verhalten der letzten Hohenstaufen, die ihre ganze Kraft auf
die Bezwingung Italiens verwendeten. In unserem Lande haben sie sich
nicht heimisch gefühlt. Und doch übte ihre glanzvolle Persönlichkeit einen
unendlichen Zauber auf die Seele des deutschen Volkes aus. Als es hieß,
Friedrich II. sei gestorben, konnten die Deutschen es nicht glauben. Bald
entstand die Sage, er sei nicht tot, sondern halte sich in einer Hohle des
Kyffhänsergebirges (oder in einem andern Berge) verborgen. Die spätere
Zeit setzte an Friedrichs II. Stelle seinen großen Ahnherrn Friedrich
Barbarossa. (Rückert: Barbarossa. Geibel: Friedrich Rotbart.)
Während das edle Geschlecht in Italien heldenmütig kämpfte und sich
schließlich dort verblutete, blieb Deutschland sich selbst überlassen. Tapfere
Reichsfürsten verteidigten die Grenzen oder schoben sie gar noch weiter
hinaus (Adolf IV. von Schauenburg, Heinrich von Liegnitz — die Hoch¬
meister des Deutschen Ordeus).
2. Deutsche Eroberungen im Osten. Ju den letzten Jahrhunderten
war die Macht des Reiches zwar gesunken; aber die Kraft des deutschen
Volkes war ungebrochen. Von tatkräftigen Fürsten geführt, war es Schritt
für Schritt gegen Osten vorgedrungen. Zur Zeit Karls des Großen ging
die Reichsgrenze mitten durch das jetzige Deutschland (Böhmer Wald,
Saale, Elbe, Trave). Heinrich I. und Otto der Große hatten zeitweilig
ihre Herrschaft bis an die Oder ausgedehnt (Sächsische Nordmark); doch
dauernd konnte der Osten erst dann gewonnen werden, wenn entweder
die Slaweu germanisiert oder durch Deutsche ersetzt wurden.