108
Zweiter Abschnitt. Erster Zeitraum.
Mädchens mit einem Wasierkruge, und kam zu dem Palast des Königs, in welchem
alles von Gold und Silber strahlte. Flehend warf er sich zu den Füßen
der Königin Arete, welche mit Spinnen beschäftigt neben dem Könige am
Herde saß, bat sie, ihn in sein Vaterland zurückzusenden, und setzte sich dann als
Schutzflehender auf den Herd, um der Antwort zu harren. Da nahm ihn
der König freundlich bei der Hand und führte ihn zu einem prachtvollen
Seffel. Eine Magd goß dem Gaste aus goldener Kanne Wasser über die
Hände in ein silbernes Waschbecken, und nun griff Odysseus nach den vor¬
gesetzten Speisen.
Am folgenden Tage wurden ihm zu Ehren festliche Spiele angeordnet,,
die mit einem glänzenden Mahle schloffen. Bei demselben pries ein Sänger
die Thaten der Helden vor Troja, die Erbauung des hölzernen Rosses und
den traurigen Fall der Stadt. Odysseus hörte verwundert zu, als auch seiner
nach Verdienst gedacht wurde, ohne daß jemand seine Anwesenheit ahnte.
Endlich zu Thränen gerührt und nach der Ursache derselben befragt, erzählte
Odysseus den staunenden Zuhörern seine Herkunft und seine vielfachen Aben¬
teuer, die er seit seiner Abfahrt von Troja bestanden habe. Die Phäaken,
über welche Alkinoos gebot, waren ein ruderliebendes Volk und hatten schon
manchen verschlagenen Fremdling wohlbehalten auf ihren wunderbaren, steuer¬
losen Schiffen in die Heimat zurückgeführt. Auch dem Odysseus versprachen
sie ihre Hilfe. Alkinoos schenkte dem berühmten Gaste kostbare Gewänder
und andere wertvolle Sachen. Am folgenden Tage wurden alle Geschenke
auf das Schiff gebracht, und nach einem festlichen Mahle fuhr Odysseus, ge¬
leitet von den Phäaken, seiner Heimat zu.
Landung auf Jthaka. Bald nach der Abfahrt von Scherte war
Odysseus auf dem Schiffe eingeschlafen und merkte deshalb nicht, als man in
Jthaka landete. Sanft trugen die Ruderer den Schlafenden an das Land, legten
die Geschenke der Phäaken neben ihn und fuhren wieder heim. Als der Held er¬
wachte und sich allein fand, glaubte er hintergangen zu sein; er erkannte die Heimat
nicht, die in dichtem Nebel vor ihm lag. Da trat seine Beschützerin, die Göttin
Athene, in Gestalt eines Hirtenknaben zu ihm, entfernte den Nebel, und nun
erkannte der Held das heimatliche Land. Seine Schätze verbarg die Göttin
in einer nahen Grotte und erzählte ihm darnach von feiner getreuen Gattin
Penelope und dem Frevel der Freier, welche in seinem Palaste sein Gut ver¬
zehrten. Hundert Freier hätten schon um Penelope geworben, aber die treue
Gefährtin, noch immer an der Rückkehr des Gemahls nicht verzweifelnd, habe
sich Bedenkzeit ausgebeten, bis sie ein großes Gewand fertig gewoben, in der
Nacht habe sie dann unbemerkt wieder aufgezogen, was sie am Tage vollendet
hatte. Telemach aber, sein Sohn, sei noch zu jung, um die Unbilden der
Freier zu rächen.
Odysseus bei Eumäos. Die Göttin verabredete nun mit Odysseus
die Art und Weise, wie er Rache an den Freiern nehmen könne, und riet
ihm, zu Eumäos, dem göttlichen Sauhirten, seinem treuesten Diener zu
gehen. Damit er zunächst noch unerkannt blieb, verwandelte die Göttin ihren
Schützling in einen armen, alten Bettler mit triefenden Augen, runzeligem
Gesichte und schlotternden Gliedern, der in Lumpen gehüllt war und einen
geflickten Ranzen mit geflochtenem Tragband trug.