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der Vergessenheit zu bewahren und dessen sehnlichsten Wunsch nach
einem ruhmwürdigen, durch große Thaten im Leben erworbenen Ge¬
dächtniß nach dem Tode zu befriedigen. Am längsten sind diese
Schlafkammern unserer kräftigen Vorfahren in heidnischer Zeit von
der Alles gleichmachenden, ausebnenden Hand der späteren und ge¬
genwärtigen Generation in den Gegenden des Landes, die ihres schlech¬
ten Bodens wegen wenig Werth haben, verschont geblieben, als in
der Umgegend von Barmstedt in Holstein, und aus dem magern
Landrücken in Schleswig und Jütland.
L9. Die Götterlehre der Alten.
Odin — so berichten die alten Ueberlieferungen —- war der
Schöpfer der Welt, der Herr und Vater der Götter und Menschen.
Im Anfange der Zeiten erschien der, durch den Einfluß der beleben¬
den Sonnenwärme aus die formlosen Massen ins Dasein gerufene
Riese Nmer. Er wurde der Vater der bösen Thursen oder Jetten,
aber Odin tödtete das Ungeheuer und seine ganze Brut ertrank in
dem Strom seines Blutes, bis auf Einen, welcher der Stammvater
des den Göttern feindseligen Jettengeschlechts wurde. Dieses wurde
von Odin nach dem äußersten Norden, nach dem kalten Jotunheim
vertrieben, welches auch den heimtückischen Zwergen zum Aufenthalts¬
ort angewiesen war. Aus Urners Körper bildete Odin das geord¬
nete Weltall; aus dem Fleische wurde die Erde, aus den Gebeinen
wurden die Berge, aus dem Blute das Meer, aus dem Gehirn die
Wolken, aus den Haaren die Bäume, und aus den Augenbrauen
Midgard zur Wohnung für die Menschen erschaffen, deren erstes
Paar, Askur und Embla, aus einer Esche gebildet wurde. Die
Sorgfalt und Liebe, welche die Götter den Menschen erzeigen^ zieht
diesen den Haß und die Verfolgung der grausamen Jetten zu; aber
Thor, Odins Sohn, ist ihr Beschützer, und heißt daher „Retter der
Menschen und Midgards Wehr." Häufig zieht er gegen die Thur¬
sen aus, und auf seinem Wagen über den Himmel hinfahrend, trifft
er ste mit seinem Donnerkeile, oder zermalmt fle mit seinem schweren
Hammer Mjölnir. Er ist der Freund und Beschützer aller Tapferen,
welche sich daher, wenn sie in Noth gerathen, an ihn wenden, und
er verleiht ihnen Kraft ihre Feinde zu überwinden. Thor war den
kriegerischen Bewohnern der liebste Gott, und als der Glaube an die
übrigen Götter nach und nach zu schwinden begann, ward er noch
in Ehren gehalten; seine Thaten und Kämpfe gegen die Jetten mach¬
ten den Inhalt der meisten Göttersagen aus, und noch, nach Verlauf
von Jahrtausenden, lebt in einzelnen entlegenen Gegenden des Nor¬
dens die Sage von Thor mit dem schweren Hammer. Odin, der
von dem hohen Hlidstjalf herab mit seinen weisen Augen die Erde
überschaut, ist der allgemeine Beherrscher der Welt und der Lenker
der menschlichen Schicksale. Er sorgt für das Glück im Kriege und