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stark: ein Dutzend Kinder war das Gewöhnliche in den Familien.
Bald vermochten die Acker, Weiden und Wälder die Volkszahl nicht
mehr zu ernähren. Die Kunde von den reichen Ländern des römischen
Reiches weckte auch wohl die Begehrlichkeit. Außerdem drängten
von Osten die Slaven nach. Da ballten sich denn die Germanen zu
großen Völkerbündnissen zusammen. Dies waren im Westen besonders
die Franken und die Alemannen, im Osten die Goten. Von diesen
Bündnissen bewegten sich von Zeit zu Zeit gewaltige Menschenwellen
gegen das römische Reich, und sie wurden jedesmal stärker. Immer
schwerer wurde es den Römern, die Grenzen zu halten. Sie hatten
sich nämlich nach und nach vom Heeresdienst entwöhnt. Germanische
Söldner schlugen schon längst ihre Schlachten, und blonde Ger-
manen beschützten sogar die Person des Kaisers. Große Gebiete wurden
durch die Einfälle der gefährlichen Nachbarn verwüstet und verödeten.
Der Steuerdruck, den die Kosten der Abwehr verursachten, war
unerträglich. Da wußten sich denn die Römer nicht anders zu helfen,
als daß sie den Germanen große Grenzgebiete überließen,
ja schließlich sogar ganze Stämme in das römische Reich auf¬
nahmen, die dafür Kriegsdienste leisteten. Längst schon waren die
bedeutenden Heerführer bei den Römern Germanen; schließlich
hatten sie auch noch die hohen Staatsämter inne und setzten
Kaiser ab und ein.
Das gewaltige Reich krachte in allen Fugen.
III. Die Besitzergreifung des weströmischen Reiches
durch die (5ermatten (dieVölkertvanderung). 575—568»
1. West- und Ostgermanen. Die Westgermanen waren längst
ansässige Bauern geworden. Solche Leute haben H et matsge •
fühl und wandern nicht mehr stammweise mit Weibern nnd Kindern aus.
Sie strebten darum bloß danach, ihr Gebiet nach Westen zu erweitern,
überrannten den Limes und zerstörten Kastelle und
Städte. Das Christentum nahmen sie noch nicht an.
Viel gefährlicher waren für das Römerreich tue Ostgermanen.
Diese Völker saßen noch nicht fest auf ihrem Grund und
Boden; bei ihnen gehörte das Haus noch zur fahrenden Habe.
Doch hatten sie schon das Christentum angenommen; es war ihnen
von den Oströmern in der Lehre des Artus zugekommen. Die An¬
hänger dieses Kirchenlehrers hießen Ariäner und waren sehr ver-
feindet mit den katholischen Christen in den weströmischen Ländern.
Diese Ostgermanen sind es gewesen, welche die Zer-
störuttg des weströmischen Reich es herbeigeführt haben;
sie strömten stammweise mit Weib und Kind in dasselbe ein und