Full text: Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit

406 Innere Umbildung Preußens seit 1807. 
Innere Umbildung Preußens seit 1807. 
Das Beispiel Spaniens wirkte besonders auf das Land, das den 
Druck der napoleonischen Herrschaft am härtesten suhlte, Deutschland.^) 
Hier beruhte die Hoffnung aus Erlösung auf den zwei größten 
Staaten Preußen und Österreich. Aber auch durch sie war eine Rettung 
nicht möglich, wenn sie nicht bisher festgehaltene, aber durch die sran- 
zösische Revolution überholte und darum abgelebte Einrichtungen und 
Regierungsgrundsätze aufgaben und durch zeitgemäße ersetzten. In 
Preußen führte hiezu gerade das Unglück des Jahres 1806. Je schreck¬ 
licher damals der allgemeine Zusammenbruch des Staates gewesen, desto 
deutlicher erkannte man dessen tiefe Schäden. Die zwei Hauptursachen 
jener Katastrophe lagen in der Unfähigkeit der leitenden Persönlichkeiten 
^taatfe un^ ^er ^uzweckmäßigkeit der staatlichen Einrichtungen. Es war einer- 
männer. fats eine traurige Nachwirkung der demoralisierenden Regierung Friedrich 
Wilhelms II., daß in den leitenden Kreisen des Adels, der höheren 
Beamtenwelt und der Bevölkerung der Hauptstadt der alte ehrenwerte, 
auch zu Opfern bereite Sinn, der noch im siebenjährigen Krieg rege 
gewesen, mehr und mehr einem Geiste der Selbstsucht und des bequemen 
Lebensgenusses Platz gemacht hatte, während andrerseits die zweckwidrige 
Erziehung, die der an sich tüchtige Friedrich Wilhelm III. erhalten, diesen 
nicht in den Stand setzte, mit freier Lebensauffassung und überlegenem Blick 
seine Ratgeber und Mitarbeiter zu wählen und die rechten Männer an die rechte 
Stelle zu setzen. Gerade weil es dem König an Lebenserfahrung und Menschen¬ 
kenntnis fehlte, kamen in überwiegender Zahl charakterlose und unfähige 
Leute an die Spitze der Diplomatie (Beyme, Hangwitz, Lombard, Lueche- 
sini) und des Militärs sZastrow, Köckeritz), die sich im besten Fall darauf 
beschränkten, den Staat in den herkömmlichen Formen zu erhalten. Aber 
dieser Stillstand war soviel wie Rückschritt zu einer Zeit, wo andere 
Länder infolge der französischen Revolution tiefgehende Umbildungen er- 
fuhren.2) Weil das kleine Preußen unter Friedrich dem Großen so 
Staunenswertes geleistet, ließ man die Staatsform, wie man sie von 
Friedrich überkommen hatte, als ob sie keiner Verbesserung mehr be- 
dürftig, ja einer solchen gar nicht mehr fähig wäre, ohne die Winke zu 
beachten, die doch fchon Friedrich für eine Weiterentwickelung — besonders 
durch seine Hinweise auf Befreiung der Bauernschaft — gegeben. Gerade 
Überlebtes j)a§ Genie Friedrichs d. Gr. wurde seinem Staate verhängnisvoll: man 
^?BfiernS§' erkannte nicht die schädlichen Folgen, die selbst der wohlwollendste und 
aufgeklärteste Absolutismus haben mußte,3) man sah nicht, daß die Unter- 
Agostina de Aragon, die nach dem Falle ihres Bräutigams die Geschütze bediente, nach 
dem Tode des Führers die Batterie kommandierte und ihre Mitkämpfer durch Rede 
und Beispiele zu unerhörter Tapferkeit mit fortriß. 
*) „Ich weiß nicht, warum wir uns den Spaniern nicht gleich achten wollen." 
Blücher. 
2) Die Königin Luise schrieb 1807 an ihren Vater: „Wir sind eingeschlafen auf 
den Lorbeeren Friedrichs d. Gr., der — der Herr eines neuen Jahrhunderts — eine 
neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, daher überflügelt sie uns/' 
3) . Nach dem gleichen Naturgesetz, weshalb der geringste Organismus unendlich 
mehr ist, als die kunstvollste Maschine, so ist auch jede noch so mangelhafte Verfassung, 
die der freien Selbstbestimmung einer Mehrzahl von Bürgern Spielraum läßt,
	        
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