Innere Umbildung Preußens seit 1807. 407
thanen jeder kräftigen Selbstthätigkeit entwöhnt waren. Während in
Frankreich die Volkskraft geweckt wurde, wodurch sich dieser Staat in
den Revolutionskriegen gegen das ganze übrige Europa siegreich be-
hauptete, blieb sie in Preußen unter dem starren System obrigkeitlicher
Bevormundung gebannt. Der Bauer blieb nach wie vor der leibeigene Bauernschaft.
Unteithan des adeligen Gutsherrn; der Bürger durfte seine städtischen Bürgerstand.
Obrigkeiten nicht selbst wählen, sondern erhielt sie von der Regierung
gesetzt, die gerne ausgediente Offiziere, ja Unteroffiziere mit solchen Stellen
belohnte; der Adel blieb nicht nur durch Gewohnheit im ganzen Staats-
leben bevorzugt, sondern auch im Besitze von Vorrechten, wie der Steuer-
sreiheit, die eine Verkürzung der übrigen Bevölkerung mit sich brachten:
das Volk als Ganzes blieb ohne Vertretung, also ohne verfassnngs-
müßiges Organ, um seine Wünsche und Bedürfnisse auf gesetzliche Weise
an den Thron gelangen zn lassen; die königliche Gewalt blieb absolut.
Es kam unter diesen Umständen Alles auf die Person des Herrschers,
auf den Beamtenstand und das Heer an. Während nun Friedrich der König.
Große sich durch jährliche Inspektionsreisen von dem Stande aller seiner
Provinzen persönlich überzeugte und mit seinem Scharfblick überall
Schäden aufzuspüren und zu bessern suchte, fehlte seinem ersten Nachfolger
der Thätigkeitstrieb und das hohe Pflichtbewußtsein seines Oheims, dem
zweiten der staatsmäunische Blick, die Welt- und Menschenkenntnis, die
einem absoluten Monarchen noch mehr als einem konstitutionellen nötig
sind. Wie sich daher nach dem Tode Friedrichs des Großen an der
höchsten Stelle des Staates der Mangel eines allumfassenden Geistes
bemerklich machte, sank auch der von oben ganz abhängige Beamteustaud Beamtentum.
und verfiel einem geistlosen Mechanismus, einer endlosen Vielschreiberei,
der die Form mehr galt, als die Sache und gebürdete sich mehr und
mehr, als ob das Volk seinetwegen da sei, wie sehr auch Friedrich der
Große einst ausdrücklich und immer das Gegenteil betont hatte.1) Ein
ähnlicher Verfall der inneren Tüchtigkeit bei Konservierung der äußeren
Form war beim Militär eingetreten. Noch immer war das Exerzitium, Armee.
durch das die preußische Armee schon unter dem alten Dessauer reuom-
miert geworden, unübertroffen. Aber statt als Mittel zu dem höheren
Zweck zu gelten, den Soldaten zur Herrschaft über feinen Körper zu
bringen und an pünktlichen Gehorsam zu gewöhnen, galt es als die
unendlich mehr, als der genialste und humanste Absolutismus; denn jene ist der Ent-
Wickelung fähig, also lebendig, dieser ist, was er ist, also tot." Mommsen: Römische
Geschichte, Bd. III S. 462.
*) Aus diesem Grunde Betrachtete der Freiherr von Stein die Bureaukratie als
das Hauptiibel des Staates, in diesem Sinne schrieb er schon 1796 ein den Prinzen
Ludwig Ferdinand: ,,Die despotischen Regierungen vernichten den Charakter des Volkes,
da sie es von den öffentlichen Geschäften entfernen und deren Verwaltung einem ein-
geübten, ränkevollen Beamtenheer anvertrauenund noch 1815 an Arndt: „Die
wahren Widersacher der guten Sache find das Beamtenheer. Diese wünschen, gut be-
soldet, durch Pensionen für das Leben gesichert, ihr geheimnisvolles Schreiberwerk
fortzutreiben; sie ahnen es, daß durch eine Repräsentativverfasfung für sie eine
wahre Verantwortlichkeit, nicht eine Scheinverantwortlichkeit wie jetzt gegen ihren
70 Meilen entfernten, überladenen Obern vorhanden sein wird und daß sich ihre Zahl
verringern muß/' und bei einer anderen Gelegenheit: „Die bureaukratische Monarchie
schadet der geistigen Entwickelung — sie erstarrt; die freie konstitutionelle Monarchie
belebt, entwickelt, reißt den Menschen aus. dem trägen, selbstsüchtigen Leben."