Full text: Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit

408 Innere Umbildung Preußens seit 1807. 
Hauptsache, als das Ziel selbst, statt als Mittel zum Ziele. Je voll- 
kommener aber die Truppen auf dem Paradefeld manövrierten, desto 
mehr wiegte man sich in dem verderblichen Wahne, eine Armee von 
unübertrefflicher Tüchtigkeit zu besitzen und versäumte es, die Verbesserungen 
einzuführen, welche die Revolution auch auf militärischem Gebiet ge¬ 
bracht hatte. Während in Frankreich durch Caruot der Gedanke ein- 
geführt wurde, daß es Ehrenpflicht eines jeden waffenfähigen Staats- 
bürgers sei, für sein Vaterland zu dienen, hielt man in Preußen an 
einem Aushebungssystem fest, wodurch nur die Söhne des niederen 
Volkes zum Militärdienst beigezogen wurden, behielt aber daneben auch 
das Werbesystem bei, wodurch auch Fremde in die Armee kamen/) in 
der demnach ein eigentliches Nationalgefühl nicht wohl entstehen konnte, 
während barbarische, mit dem Werbesystem zusammenhängende Strafen 
auch das Ehrgefühl des einzelnen Soldaten eher abstumpften, als för- 
derteu. Diefer war an sich ohnehin sehr gering geachtet, was eben die 
Zusammensetzung des Heeres mit sich brachte: man strebte auch gar 
nicht darnach, ihm Begeisterung oder irgend welche höhere Auffassung 
seines Berufes einzuflößen, sondern verlangte lediglich eine Maschinen- 
hafte Thätigkeit, vor allem blinden Gehorsam von ihm. Bei Vergebung 
der Offiziersstellen aber bevorzugte man noch durchaus den Adel*) und 
so kamen besonders während der Günstlingsregierung Friedrich Wil- 
Helms IL eine Menge von Persönlichkeiten zu Kommandostellen, denen 
es an Charakterstärke und Ideen nicht minder als an der geeigneten 
Vorbildung fehlte. So verlor auch die Armee ihre Tüchtigkeit, während 
man noch vom Ruhme Friedrichs d. Gr. zehrte und sich nicht einmal 
durch den kläglichen Ausgang des Feldzuges von 1792 zu der Erkenntnis 
der Thatsache bringen ließ, daß man gegen Frankreich zurückgeblieben 
war. In Unterschätzung dieses Gegners und Selbstüberhebung befangen, 
versäumte man es vielmehr noch, die letzte Frist, die elfjährige Waffen- 
ruhe nach dem Baseler Frieden, zu der so nötigen Umbildung des Heer- 
Wesens zu benützen. 
Bei diesen Mißständen der bürgerlichen und militärischen Verhält- 
nisse Preußens und seiner unklugen äußeren Politik war die Niederlage 
Preußens vom Jahre 1806 unvermeidlich. Sie wurde nun wenigstens der Anstoß 
Wiedergeburt ^ ejner Erneuerung des Staatswesens. Der König brach mit seinen 
bisherigen Anschauungen und seiner unfähigen Umgebung und berief 
neue Männer an die leitenden Stellen. Unter diesen sind der Freiherr 
von Stein und (sein Nachfolger im Kanzleramt) Hardenberg ebenso die 
Reorganisatoren der bürgerlichen Einrichtungen, wie Scharnhorst der 
Reformator des preußischen Militärweseus. 
*) Der große Kurfürst hielt zwar den Grundsatz, daß jeder Unterthan zuin 
Kriegsdienst verpflichtet sei, fest, aber er gestattete nach dem westfälischen Frieden zu¬ 
erst den Städten, dann auch der Ritterschaft, diese Verpflichtung mit Geld abzulösen. 
Die Ausübung der Wehrpflicht fiel also damit allein auf das niedere Volk und dieser 
durch Aushebung aus den Landeskindern gebildete Kern der Armee wurde durch 
Werbungen verstärkt, die mit den von dem Adel und den Städten gezahlten Ablösungs- 
summen bestritten wurden. 
2) Gerade adelige Kommandanten schloffen 1806 und 1807 die ehrlosesten Kapi¬ 
tulationen, während die Bürgerschaft von Kolberg ihre Stadt tapfer mitverteidigte.
	        
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