Innere Umbildung Preußens seit 1807. 409
Karl Freiherr vom und zum Stein wurde im Jahre der Roßbacher Frhr. v Stein.
Schlacht zu Nassau als der Sprosse eines reichsunmittelbaren Ritter-
geschlechts geboren. Auf der Universität Göttingen und durch Reisen
gebildet, trat er (1780) aus Verehrung für Friedrich d. Gr. in den
preußischen Staatsdienst, ward Oberpräsident zu Minden und (1804)
Zoll- und Handelsminister. Als solcher setzte er (1804) die Aufhebung
aller binnenlündischen Zölle durch, ward aber wegen seiner unbeugsamen
Haltuug (in Meinungsverschiedenheiten mit dem unfähigen Kabinetsrat
Beyme) 1807 vom König in Ungnade entlassen.') Er begab sich auf
seine Güter in Nassau. Als ihn aber Friedrich Wilhelm auf Anregung
seiner Gemahlin Luise nach dem Frieden von Tilsit zurückrief, stand er
keinen Augenblick an, die frühere Kränkung zu vergessen und die Neu¬
bildung des ganz zerrütteten Staates zu übernehmen. Die kurze ^eit,
in der Stein als Staatskanzler der preußischen Monarchie vorstand,
(September 1807 bis November 1808) benützte er, um die zwei Stände,
von denen er allein eine Rettung des Vaterlandes hoffte, das Bürgertum
und den Bauernstands) von Fesseln zu befreien, die ihnen einen selbst¬
tätigen Anteil am Staatsleben bisher unmöglich gemacht. Sein Haupt-
ziel war, den Volksgeist zu wecken, ihm ein Interesse am Bestände des
Staates einzuflößen, ihn zu freudiger und freiwilliger Mitarbeit am Ge-
deihen des Staates zu erziehen. Da er überzeugt war, daß das bisherige
System „den Charakter des Volkes verderbe", uud „der geistigen Ent-
Wickelung schade",3) suchte er an Stelle der Bevormundung des Volkes
durch die Bureaukratie und den privilegierten Adel das System des
englischen „Selsgovernment", der Selbstverwaltung des Volkes in allen
Gemeindeangelegenheiten anzubahnen. Er erkannte richtig, daß aus Seite
des Adels zu viel Selbstsucht, auf Seite der Beamtenschaft zu viel, aeist-
und begeisterungslose Vielregiererei, in der Masse des Volkes aber gerade
l) „Als ein widerspenstiger, trotziger, hartnäckiger und ungehorsamer Staats-
dienernder, auf sein Genie und seine Talente pochend, weit entfernt das Beste des
r^rDOr Augen zu haben, nur durch Kaprisen verleitet, aus Leidenschaft und aus
persönlichem Haß und Erbitterung handelt." — Viel gerechter als der König Stein,
?^>en felsenfesten Charakter er damals in ganz falschem Lichte sah, beurteilte Stein
den Konig (1811): „^ch verehre den König wegen seiner religiösen Sittlichkeit, seiner
reinen Liebe zum Guten, ich liebe ihn wegen seines wohlwollenden Charakters und
?£ « Vi"' -er ^ . fernen Zeitalter lebt, wo diese Milde, diese Recht-
Ichaffenheit nur feinen Fall beförderten, und in welchem nur Eines not thut, um sich
zu erhalten: ein überwiegendes Feldherrntalent, verbunden mit rücksichtslosem Eaois^
ro■■ v■ e^9 • unb 'Übertritt, um auf Leichnamen zu thronen." — Die schönste
Würdigung von Steins Charakter gab Scharnhorst: „Nur zwei Menschen ganz ohne
kenne ich, Stem und Blücher," eine unbedingte Anerkennung feiner
politischen Begabung Gentz (m einem Briefe von 1609): „Ich meines Teils erkläre
hier, daß,^wenn es heute gelänge, Ew. Exzellenz die Diktatur (int eigentlichen alt-
Sfl?"6 reä *°rtes) r"ter 2l.aeä' roa§ zur Rettung Deutschlands unternommen
werden mußte, zusprechen zu lassen, ich morgen, mit meinem Tagewerk zufrieden, über
den Ausgang und über die Zukunft beruhigt, die Welt verlassen wollte."
sm;,, J ^ ^ne5 September 1809) an Scheffner: „Nur vom Bauernstand und
Mittelstand kann man im nordlichen Deutschland etwas erwarten; der reiche Adel
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"^^5-^?n^atische Bionarchie schadet der geistigen Entwickelung — sie erstarrt •
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