Deutschland nach den Befreiungskriegen. 453
(wie der mecklenburgische Dialektdichter Fritz Reuters oft bis zu 10 Jahren
in Festungshaft gehalten, weil sie Freiheitslieder gesungen und schwarz-
rot-goldene Bänder getragen. f
Wie die Hoffnungen und Wünsche deutscher Patrioten auf Her-Verlangen nach
stellung einer starken nationalen Einheit und einer Gesamtvertretung der Äonitttuttonen.
ganzen Nation durch die Gründung des deutschen Bundes und die
Leitung desselben durch Metternich enttäuscht worden, so blieb auch die
Gewährung einer verfassungsmäßigen Teilnahme des Volkes an der
Gesetzgebung und Verwaltung der Einzelstaaten weit hinter den Ver-
sprechüngen und Erwartungen zurück und zwar wiederum durch den
Einfluß Metternichs. Schon die Wiener Bundesakte gab den Wünschen
des Volkes nichts als die allgemeine Prophezeiung: „In allen Bundes-
staaten wird eine landständische Verfassung stattfinden (während die
Privilegien des Adels in einem laugen Artikel möglichst bestimmt aus-
gesprochen waren). Aber gerade die beiden größten Staaten, Preußen
und Österreich, in der hl. Allianz enge mit dem antokratischen Rußland
verbunden, zögerten immer länger mit der Gewährung einer Konstitution,
und nur einige kleine und mittlere Staaten erhielten durch aufgeklärte
oder wohlwollende Monarchen bald nach den Befreiungskriegen Ver-
fafsungeu, so das Großherzogtum Weimar durch Karl August 1816, Weimar,
das Königreich Bayern durch Max I. 1818 und in gleichem Jahre das Bayern.
Großherzogtum Baden, das Königreich Würtemberg 1819. In anderen Baden,
Staaten wurden die mittelalterlichen ständischen Ordnungen wieder ein- Würtemberg.
geführt, die schon wegen der übermäßigen Begünstigung des Adels dem
Zeitgeist nicht mehr entsprachen, andere ahmten das Beispiel der beiden
Großstaaten nach, indem sie die Dinge möglichst beim alten ließen oder
darauf zurückführten. Am eifrigsten zeigte sich in dieser Hinsicht der
Kurfürst Wilhelm von Hessen-Kassel, der — als ihm der Wiener Kon- Kurhessen,
greß den Titel „König der Chatten" verweigerte — nicht nur den Titel
„Kurfürst" beibehielt (obwohl nach Aufhebung des Wahlkaisertums nichts
mehr zu küren war), sondern die ganze Zwischenzeit des Jerömeschen
Regiments so gänzlich ungeschehen machen wollte, daß er nach seiner
Rückkehr den vorrevolutionären Zopf im Militär wieder einführte, 2)
sämtliche unter Jerome vorgerückten Staatsdiener wieder zu der Stellung
degradierte, die sie 1806 eingenommen, und sogar alle, die während des
französischen Regiments Domänen gekauft hatten, zwang, dieselben ohne
Entschädigung zurückzugeben. Ein ähnliches, auf Gewaltthat und Willkür Braunschweig,
fußendes und dazu noch äußerst verschwenderisches Regiment führte in
Braunschweig Herzog Karl, der Sohn des bei Quatrebras gefallenen
tapferen Friedrich Wilhelm. Seine Regierung wurde so drückend, daß
die Nachricht von der Pariser Julirevolution einen Aufstand in Braun-
schweig hervorrief, in welchem das Residenzschloß gestürmt und in Brand
gesteckt, der Herzog vertrieben und sein Bruder Wilhelm zur Übernahme
der Regierung berufen wurde 1830. Die Stellung des Herzogs Karl
war so unhaltbar geworden, daß selbst der Frankfurter Bundestag dem
*) „Ut mine Festungstid" (Aus meiner Festungszeit).
2) Er selbst hatte seinen Einzug in Kassel am 21. November 1813 in einer
mächtigen Zopsperrücke gehalten und erklärte ausdrücklich, er habe nur sieben Jahre
geschlafen.