Full text: Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit

Ergebnisse der Völkerwanderung. 35 
familien verteilt hat, wie wir es im wesentlichen noch heute finden. 
Während die Karte Europas vorher eine große Einheit aufweist, zufolge 
deren die Römer als die Herren fast der ganzen damals bekannten Politisches Er- 
Erde erscheinen, wurde dieses letzte und mächtigste von den Weltreichen gebnis. 
des Altertums durch die Völkerwanderung zerstört und entstand ans 
feinen Trümmern eine Vielheit neuer und zwar zunächst germanischer Reiche. 
Die Sitze der germanischen Völkerfamilie wurden hiedurch in der Ethnographi- 
Weise verschoben, daß sie alle Länder östlich der Elbe und des 93öhmer= @r8eBniä 
Waldes bis zur Weichsel und von da nach Südrußland und Rumänien 
ausgab und das bis dahin römische Westeuropa an sich riß. Während 
in die von den Germanen verlassenen Gebiete die bis dahin noch un- 
bekannten Slaven nachrückten, blieb jedoch der neu eroberte Westen 
der germanischen Familie nicht erhalten. Denn mit Ausnahme der 
niederdeutschen Angelsachsen sind sämtliche ausgewanderte germanische 
Völker untergegangen, indem sie im Süden ihre frühere 
Tüchtigkeit verloren (wie die Wandalen), und nachträglich (wie die Oft- 
goten) von einem überlegenen Feind im Kampfe aufgerieben wurden, oder 
fie haben, wie die meisten von ihnen, ihre germanische Nationalität 
eingebüßt, indem sie, an Zahl schon geringer, als ihre neuen römischen 
Unterthanen, sich mit diesen mischten und, obwohl Herren und Eroberer 
des römischen Bodens, doch infolge der Überlegenheit der antiken Kultur 
bie^ Sprache der Besiegten annahmen, freilich auch umbilden halfen, so 
daß aus der einen römischen die romanischen Sprachen entstanden. 
So wurden aus den Westgoten Spanier, aus den salischen Franken und 
Burgundern Franzosen, aus den Langobarden Italiener. Es bildete sich 
also neben den Slaven und Germanen durch Mischung der letzteren 
mit Römern oder früher schon romanifierten Nationen eine neue Völker- 
familie, die der Romanen. 
Diese Völkermischnng bedeutete für die Länder der alten Welt eine meriünauna 
Art von Wiedergeburt oder Verjüngung, indem sie der in mancher Hin- der alten Welt, 
ficht abgelebten Bevölkerung des römischen Reiches frische, lebenskräftige 
Elemente zuführte und manche Charakterzüge mitteilte, welche von 
früheren römischen Geschichtsschreibern (wie Taeitus) als echt germanische 
Eigenschaften gepriesen wurden. So entwickeln sich bei den germanischen 
wie romanischen Völker gewisse dem Mittelalter besonders charakteristische 
Züge, wie Hochhaltung der Persönlichkeit und der persönlichen 
Ehre, wodurch auch der Fürst seinen Untergebenen gegenüber gebunden 
ist, Treue dem eigenen Wort wie dem freigewählten Gebieter gegen- 
über, woraus sich (wie früher das Gefolgswesen der Germanen, so) in 
der Folge das ganze Lehenswesen des Mittelalters aufbaute, Ritterlich- 
keit, welche im Kampf an den abenteuerlichen Sinn der alten Ger- 
manen erinnert, die Krieg und Schlacht für ein Gottesurteil hielten 
und sich ungestüm auf den Gegner stürzten, aber auch den überwundenen 
Feind großmütig und menschlich zu schonen wußten, endlich jene ehr- 
furchtvolle Achtung vor dem Weibe, die Tacitus an den Germanen 
rühmte und die im Minnedienst des Mittelalters ihre höchste Steigerung 
gefunden hat. 
Wie^ so die jugendfrischen Germanen den altgewordenen Völkern 
des römischen Reiches neuen sittlichen Gehalt einflößten, so empfingen 
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