Full text: Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit

Die deutschen Karolinger 843—911. 59 
Reich, das gerade damals eines kräftigen Herrschers bedurft hätte. — 
Die Großen erkannten^) nun den erst sechsjährigen Sohn Arnulfs, 
Ludwig das Kind (899—911) als König an. der sich später auch Kaiser Ludwig das 
(Ludwig 11I.J nannte, ohne in Rom gekrönt worden zu sein. Da Ludwig g99.l_91] 
minderjährig war, übernahm für ihn die vormundschaftliche Regierung 
der Erzbischof Hatto von Mainz, ein Mann, der mit Strenge, ja Härte*) 
der nun allgemein einreißenden Verwirrung zu steuern suchte. Kaum 
war nämlich der kraftvolle Arnulf tot. so brachen die Magyaren, das 
dritte Volk mongolischer Herkunft, das feit der Völkerwanderung in den 
Teißebenen eine neue Heimat fand, über die Grenze ein. Nach Erscheinung 
wie Lebensgewohnheiten den früheren Huunen und Awaren durchaus 
ähnlich, durchstreiften sie auf ihren flinken Steppenpferden seit 900 
Deutschland, machten nieder, wer ihnen Widerstand leistete, und schleppten 
Wehrlose als Sklaven, alle bewegliche Habe als Beute nach Ungarn. 
Da von der Reichsregieruug gegen sie kein nachhaltiger Schutz zu er- 
warten war, wählte sich nun wieder jeder deutsche Stamm den kriegs- 
tüchtigsten Großen aus seiner Mitte zum Herzog, der zunächst zwar die 
Abwehr der Ungarn zu leiten hatte, dann aber auch alle Regierungs- 
gewalt in seine "Hand bekam. So lebte in Deutschland das von Karl 
dem Großen beseitigte Volksherzogtum wieder auf und sorgte an Stelle 
des machtlos gewordenen Königtums für die Verteidigung der einzelnen 
Stammcsgebiete, aus denen das Reich bestand. Freilich mußte da die 
Verwirrung noch steigen, wo zwei gleich mächtige Familien um die 
Herzogsgewalt über' einen Stamm in Streit gerieten. Dies war in 
Franken der Fall, wo die in Hessen begüterten Konradiner mit den um 
Bamberg seßhaften Babenbergern eine heftige-Fehde führten, bis Hatto 
eingriff und den letzten Babenberger Adalbert vor seiner Burg Terissa 
enthaupten ließ. Am meisten von allen Reichsgebieten hatte unter den 
Ungareinfällen seiner Lage nach Bayern zu leiden. Hier übernahm die 
Verteidigung des Landes der tüchtige Markgraf Liutpold der Schire. der 
jedoch in der Schlacht bei Preßburg 907 mit dem größten Teil des 
bayerischen Heerbannes gegen die Ungarn siel, worauf diese die bayerische 
Ostmark vernichteten. An seine Stelle trat sein umsichtiger und that- 
kräftiger Sohn Arnulf, der nach dem Aussterben der Karolinger eine 
neue Herzogsreihe in Bayern eröffnete. Ein Reichsheer, das sich nun 
um Ludwig das Kind sammelte, wurde von den Ungarn am Lech 910 
besiegt. worauf der junge König dem Rhein zuflüchtete und schon im 
nächsten Jahr kinderlos starb. Mit ihm erlosch die deutsche Linie der 
Karolinger. 
*) Das altdeutsche Königtum war infoferne erblich, als es (in der Regel) bei, 
einer Familie blieb, bis diese erlosch, da man aber innerhalb derselben den Nach¬ 
folger immer in feierlicher Versammlung bestätigte, haftete ihm auch ein Echem des 
Wahlkönigtums an; infolge des häufigen Aussterbens der Königshäuser und gewisser 
politischer Ereignisfe wurde Teutschland schließlich wirklich ein Wahlreich. 
*) Daß Hatto beim Volk, das ihm Grausamkeit und Treubruch zutraute, nicht 
beliebt war. zeigen die Sage vom Mäuseturm wie die Überlieferung vom Untergang 
des letzten Babenbergers.
	        
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