Metadata: Deutsche Prosa und Poesie (Teil 4, [Schülerbd.])

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hinauf zum Scheiterhaufen. Plötzlich schlug 
die Flamm’ empor, umwehend ringsum ihn 
50 gleich einem Segel, das ihn kühlete, 
gleich einem glänzenden Gewölbe, das 
den Edelstein in seine Mitte nahm 
und schöner ihn verklärte; bis ergrimmt 
ihm eine freche Faust das Herz durchstieß. 
55 Er sank, es floß sein Blut, die Flamm’ erlosch, 
und eine weiße Taube flog empor. — 
Du lachst der weißen Taube? Soll einmal 
ein Geier dir, dem Sterbenden, die Brust 
durchbohren, dem Gestorbenen das Aug’ 
60 ein Rab’ aushacken, aus der Asche sich 
Molch oder Natter winden? Spotte nicht 
des Bildes, das die Sage sich erschuf! 
Nur Einfalt, Unschuld gibt im Tode Mut. 
6. Lied von der Freundschaft. 
Simon Dach. 
1. Der Mensch hat nichts so eigen, 
so wohl steht nichts ihm an, 
als daß er Treu’ erzeigen 
und Freundschaft halten kann, 
wann er mit seinesgleichen 
soll treten in ein Band; 
verspricht sich, nicht zu weichen, 
mit Herzen, Mund und Hand. 
2. Die Red’ ist uns gegeben, 
damit wir nicht allein 
für uns nur sollen leben 
und fern von Menschen sein; 
wir sollen uns befragen 
und sehn auf guten Rat, 
das Leid einander klagen, 
so uns betreten hat. 
3. Was kann die Freude machen, 
die Einsamkeit verhehlt? 
Das gibt ein doppelt Lachen, 
was Freunden wird erzählt. 
Der kann sein Leid vergessen, 
der es von Herzen sagt; 
der muß sich täglich fressen, 
der ingeheim sich nagt. 
4. Gott stehet mir vor allen, 
die meine Seele liebt; 
dann soll mir auch gefallen, 
der mir sich herzlich gibt. 
Mit diesen Bund’sgesellen 
verlach’ ich Pein und Not, 
geh’ auf den Grund der Höllen 
und breche durch den Tod. 
6. Gotthold Ephraim Lessing. 
Werke. Herausgegeben von H. Kurz. Hildburghausen. Bibliographisches Institut. 1870. 
1. Äsopus und der Esel. 
Der Esel sprach zu dem Äsopus: „Wenn du wieder ein Geschichtchen 
von mir ausbringst, so laß mich etwas recht Vernünftiges und Sinn¬ 
reiches sagen." 
„Dich etwas Sinnreiches!" sagte Äsop; „wie würde sich das
	        
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