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hinauf zum Scheiterhaufen. Plötzlich schlug
die Flamm’ empor, umwehend ringsum ihn
50 gleich einem Segel, das ihn kühlete,
gleich einem glänzenden Gewölbe, das
den Edelstein in seine Mitte nahm
und schöner ihn verklärte; bis ergrimmt
ihm eine freche Faust das Herz durchstieß.
55 Er sank, es floß sein Blut, die Flamm’ erlosch,
und eine weiße Taube flog empor. —
Du lachst der weißen Taube? Soll einmal
ein Geier dir, dem Sterbenden, die Brust
durchbohren, dem Gestorbenen das Aug’
60 ein Rab’ aushacken, aus der Asche sich
Molch oder Natter winden? Spotte nicht
des Bildes, das die Sage sich erschuf!
Nur Einfalt, Unschuld gibt im Tode Mut.
6. Lied von der Freundschaft.
Simon Dach.
1. Der Mensch hat nichts so eigen,
so wohl steht nichts ihm an,
als daß er Treu’ erzeigen
und Freundschaft halten kann,
wann er mit seinesgleichen
soll treten in ein Band;
verspricht sich, nicht zu weichen,
mit Herzen, Mund und Hand.
2. Die Red’ ist uns gegeben,
damit wir nicht allein
für uns nur sollen leben
und fern von Menschen sein;
wir sollen uns befragen
und sehn auf guten Rat,
das Leid einander klagen,
so uns betreten hat.
3. Was kann die Freude machen,
die Einsamkeit verhehlt?
Das gibt ein doppelt Lachen,
was Freunden wird erzählt.
Der kann sein Leid vergessen,
der es von Herzen sagt;
der muß sich täglich fressen,
der ingeheim sich nagt.
4. Gott stehet mir vor allen,
die meine Seele liebt;
dann soll mir auch gefallen,
der mir sich herzlich gibt.
Mit diesen Bund’sgesellen
verlach’ ich Pein und Not,
geh’ auf den Grund der Höllen
und breche durch den Tod.
6. Gotthold Ephraim Lessing.
Werke. Herausgegeben von H. Kurz. Hildburghausen. Bibliographisches Institut. 1870.
1. Äsopus und der Esel.
Der Esel sprach zu dem Äsopus: „Wenn du wieder ein Geschichtchen
von mir ausbringst, so laß mich etwas recht Vernünftiges und Sinn¬
reiches sagen."
„Dich etwas Sinnreiches!" sagte Äsop; „wie würde sich das