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Damm hing es mit großer Liebe und Verehrung an seinem Kaiser; in ganz Deutsche
land schlugen ihm die Herzen begeistert entgegen. Sein 90. Geburtstag wurde mit
unbeschreiblichem Jubel begangen. Die deutschen Fürsten und Prinzen eilten nach
Berlin, um dem preisen Herrscher ihre Glückwünsche darzubringen. Doch auch
Kaiser Wilhelm mußte noch in seinem letzten Lebensjahre erfahren, daß es ans
Erden kein reines Glück gibt. Er mußte seinen Sohn an schwerer Krankheit dahin-
siechen sehen und mußte erleben, daß der Tod seinen Lieblingsenkel, den Prinzen
Ludwig von Baden, im Alter von 23 Jahren dahinraffte. Seitdem war die Ge-
sundheit des Herrschers schwer erschüttert, er wurde schwächer und schwächer.
Dennoch war er bestrebt, seine Regentenpslichten zu erfüllen. Als ihn seine Tochter,
die Großherzogin von Baden, liebevoll zur Ruhe mahnte, antwortete er schlicht:
„Ich habe keine Zeit, müde zu sein." Am 9. März, früh8V2 Uhr, entschlummerte
sanft und ohne Todeskampf Kaiser Wilhelm I. Ein Gefühl unermeßlicher und un-
beschreiblicher Trauer bemächtigte sich des deutschen Volkes: vom Fels bis zum
Meer erhob sich eine ergreifende Klage um den treuen, milden, charakterfesten
Herrscher.
An demselben Tage noch erschien Fürst Bismarck im Reichstage, um den
Abgeordneten die traurige Kunde mitzuteilen. Der eiserne Kanzler schloß seine
oftmals von Schluchzen unterbrochene Rede mit den Worten:„Die heldenmütige
Tapferkeit, das nationale Ehrgefühl und vor allem die treue, arbei t-
same Pflichterfüllung und die Liebe zum Vaterlande, die in unserem
dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, — mögen sie ein unzerstörbares.Erb-
teil unserer Nation sein, das uns der aus unserer Mitte geschiedene Kaiser hinter-
lassen hat!"
7." Die Kaiserin Augusta.
Die Kaiserin Augusta wurde am 30. September 1811 zu Weimar ge¬
boren. Unter der Obhut der Mutter genoß sie eine vorzügliche Erziehung. Selbst
Goethe beschäftigte sich öfters mit dem geistreichen Fürstenkinde. Schon früh
rühmte er den festen und selbständigen Charakter der Prinzessin. Als sie sich mit
dem Prinzen Wilhelm von Preußen vermählte, meinte der greise Dichterfürst:
„Sie darf mitreden, denn sie hat etwas gelernt."
Das junge Paar wohnte anfangs in dem Neuen Palais bei Potsdam.
Durch die Geburt eines Sohnes wurde das häusliche Glück des Prinzen und der
Prinzessin vollendet. Nach sieben Jahren folgte noch eine Tochter; sie erhielt
zum Gedächtnis an die Großmutter den Namen Luise. Die Erziehung der
Kinder überwachte Prinzessin Augusta selbst. Während der Unterrichtsstunden
saß sie meistens, mit einer Handarbeit beschäftigt, am Fenster und hörte zu. Es
ist sogar vorgekommen, daß sie beim Experimentieren in der Physikstunde selbst
mit.tätig gewesen ist.
Im Jahre 1849 nahm das Stilleben in Potsdam ein Ende. Prinz Wilhelm
wurde zum Gouverneur der Rheinlande und Westfalens ernannt und mußte
seinen Wohnsitz in Koblenz aufschlagen. Damit wurde auch der Prinzessin
ein weiteres Arbeitsfeld gewiesen. Straßen und Wege wurden auf ihren Rat