20 6. Das delphische Orakel und die olympischen Spiele.
herrschen mochte, während dieser Zeit mußte er ruhen. Da entfaltete
sich bei dem sonst so stillen Olympia ein buntes, fröhliches Leben. Die
Wettkämpfe fanden auf einem mit Sand bestreuten Räume statt, der
in weitem Bogen von den terrassenartig aufsteigenden Sitzbänken für
die Zuschauer umgeben war. Schon in der Nacht gingen viele hin, um
sich einen guten Patz zu sichern. Auf besonderen Ehrensitzen sah man
die Preisrichter in Purpurmantel und Lorbeerkranz. Ein Trompetenstoß
ertönte, und die Wettkämpfer traten ein. Mindestens zehn Monate
mußten sie sich durch anstrengende Übung und Enthaltsamkeit auf diesen
Tag vorbereitet haben.
b) Die Wettkämpfe. Den Anfang machten die Wettläufer.
Wer, nachdem die Bahn mehrmals durchlaufen war, zuerst das Ziel er¬
reichte, dessen Name wurde laut ausgerufen, und jubelnd wiederholten
ihn die Tausende der Zuschauer. Ein Spartaner sank einst nach er¬
rungenem Siege tot zur Erde. Nun kam der Faust kämpf, der natür¬
lich viel gefährlicher war. Einem Kämpfer wurden einst die Zähne ein¬
geschlagen; er schluckte sie hinunter und siegte noch. Hierauf folgte der
Ringkampf und Sprung, endlich das Speer- und Diskus-
werfen. Der Diskus war eine schwere, runde Metallschere; man
schleuderte sie so, daß sie mit der Kante auf die Erde schlug und dann
noch weit fortrollte. Außer diesen Wettkämpfen zu Fuß gab es dann
noch Wagenrennen mit Zwei- und Viergespann, wofür eine besondere
Bahn vorhanden war. Zwölfmal mußte diese durchmessen werden. Oft
stürzten, besonders beim Herumlenken, die Pferde; der Wagen zerschellte,
und der Rosselenker flog weithin in den Sand. Den Preis bekam nicht
der Lenker, sondern der Besitzer der Rosse, der oftmals ein Fürst oder
König war. Außer den körperlichen wurden bald auch noch geistige
Wettkämpfe veranstaltet. Dichter und Geschichtsschreiber trugen ihre
Werke vor; Maler und Bildhauer stellten die Erzeugnisse ihrer Kunst aus.
c) Die Sieger. Fünf Tage dauerten die Spiele. Die Sieger
erhielten zunächst Palmzweige; mit diesen erschienen sie am Ende des
Festes vor den Kampfrichtern, um den Preis zu empfangen. Welches
war dieser Preis? Ein einfacher Olivenkranz! Und doch galt ein
solcher Sieg für das höchste Gut auf Erden. Nicht bloß sich selbst,
sondern auch seine Heimat machte der Sieger berühmt; Dichter befangen
ihn; im Triumphe zog er in seine Vaterstadt ein, die ihm wohl gar
eine Bildsäule setzte oder ihn zeitlebens auf öffentliche Kosten ernährte.
Diagoras von Rhodus, der in der Jugend selbst gekrönt war, erlebte
es, daß feine beiden Söhne siegten. Da rief ihm ein Spartaner zu:
„Stirb, Diagoras, denn was bleibt dir noch zu wünschen übrig?"
Wirklich konnte der Greis die Freude nicht ertragen, und als seine Söhne
ihn umarmten und ihm ihre Kränze aufs Haupt setzten, sank er entseelt
zu Boden. Alles Volk weinte vor Rührung bei diesem Anblick.
3. Olympiade. Die olympischen Spiele galten den Griechen für
so wichtig, daß sie ihre Jahre danach berechneten, indem sie den Zeit¬
raum von einem Feste bis zum nächsten eine Olympiade nannten. Die
erste Olympiade umfaßte die vier Jahre von 776—772 v. Chr.
4. Andere Spiele. In den Jahren, wo zu Olympia nicht ge-