Contents: Deutsches Lesebuch für Mittel- und Oberklassen der Volksschulen

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■'f5. Das Leben der Singvögel. 
Die Singvögel führen allem Anscheine nach ein sehr ver¬ 
gnügtes Leben. Ehe sie noch aus dem Ei schlüpfen, ist ihnen 
schon die Wiege bereitet, in der sie groß gezogen p-erden sollen. 
Denn wenn sie aus dem Ei kommen, sind sie entweder ganz nackt 
oder nur mit einem zarten Flaum bedeckt und können sich gar 
nicht helfen. Doch werden sie dann von den Alten mit großer 
Sorgfalt gefüttert. Sie brauchen nichts zu tun als, wenn der 
Vater oder die Mutter kommt, ihre gelben Schnäbel aufzusperren 
und zu zwitschern. Dazu deckt sie die sorgsame Mutter des Nachts 
mit ihren Flügeln zu, daß sie nicht naß werden und nicht frieren 
dürfen. Sind sie flügge geworden, d. h. sind ihnen die Federn 
so weit gewachsen, daß sie fliegen können, so verlassen sie das 
Nest und setzen sich auf einen Strauch oder Baum, freuen sich 
im Sonnenschein und warten, bis ihnen der Vater oder die Mutter 
ein Würmlein, eine Mücke oder ein Käferlein bringt und in den 
Schnabel steckt. Denn sich ihre Nahrung selber zu suchen, dazu 
sind sie noch zu einfältig. Haben sie endlich auch das gelernt, 
und es kommt der Winter herbei, so ziehen sie in zahlreicher 
Gesellschaft oder auch einzeln fort, um wärmere Gegenden aufzu¬ 
suchen und da zu warten, bis der Winter vorbei ist. Wenn dann 
die Knospen der Bäume schwellen, wenn die Büsche und Hecken 
grün werden, ziehen sie wieder in ihre Heimat. Sie verkündigen 
uns dann durch ihre Wiederkunft den Frühling. Da trifft sie 
indessen freilich manchmal ein Unglück. Sie lassen sich nämlich 
bisweilen von warmer Witterung verleiten zu bald auf die Reise 
zu gehen. Kommen dann im März oder April noch kalte Tage 
mit Schnee und Frost, so müssen gar manche von den armen 
Wanderern erfrieren oder verhungern. Bleibt aber das Wetter 
warm, so schlagen sie in einem grünen Busche oder auf einem 
blühenden Baume ihre Wohnung auf und singen und spielen 
miteinander nach Herzenslust. Auch fangen sie an, Grashalme, 
Stroh, Moos, Federn u. dgl. herbeizutragen, um ihren künftigen 
Jungen im Verborgenen ein warmes, weiches Bett zu bereiten. 
Darauf legt das Weibchen Eier und brütet sie aus, während ihm 
das Männchen etwas vorsingt. Sind die Jungen ausgekrocheu, 
so hören die Alten ganz auf zu singen, weil sie nun alle Zeit 
auf die Versorgung ihrer kleinen Nesthocker verwenden müssen. 
Wenn sie nun alle diese Arbeit getreulich getan haben, so steht 
ihnen noch eine schlimme Zeit bevor, nämlich die Zeit, in der sie 
ihre alten Federn verlieren und neue bekommen. Während dieser
	        
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