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5. Die Weimarer Dichter. Weit über die zuletzt genannten Dichter
erheben sich durch Großartigkeit und künstlerische Vollendung ihrer Werke
Herder, Goethe und Schiller, die wir (nebst Wieland) nach der Haupt-
stätte ihres dichterischen Schaffens als die Weimarischen Dichter be-
zeichnen dürfen. Durch sie gelangte die B l ü t e z e i t unserer Poesie zu ihrem
Höhestand. Indes fällt, namentlich bei Goethe und Schiller, nur der
frühere Teil ihres Dichterlebens noch in Friedrichs des Großen Zeitalter;
die spätere Hälfte ihres Wirkens wird erst in der folgenden Periode der
Weltgeschichte zu behandeln sein.
An dem kleinen Fürstenhofe zu Weimar wußte man eine Reihe der besten Schrift-
steller dauernd zu fesseln. Die geistvolle Herzogin Anna Amalie, Friedrichs des Großen
Nichte, berief dorthin Wieland zum Erzieher ihrer Söhne; der ältere der Prinzen, Karl
August, der 1775 im Alter von achtzehn Jahren als Herzog zur Regierung gelangte,
gewann Goethe, Herder und Schiller für sein Weimar. Der älteste der großen
Dichter war
Herder, geb. 1744 zu Mohrungen in Ostpreußen, gest. 1803 in Weimar, ein reicher
Geist, der nach den verschiedensten Richtungen hin anregend, weckend und befruchtend
wirkte. Insbesondere ragte er hervor durch seine tiefe Einsicht in das Wesen und den Ur-
sprung der Poesie, die er nicht als Besitztum einzelner, sondern als eine Völkergabe, als
„die Muttersprache des menschlichen Geschlechts" bezeichnete. Das Volk galt ihm als die
Quelle, die alten Volksgesänge als die Grundlage aller echten Poesie. Mit Hingebung
und Verständnis studierte er in umfassendster Weise die Dichtungen fremder Völker und
entlegener Zeiten, und gab sie in trefflichen Übersetzungen und Nachbildungen wieder.
Seine „Stimmen der Völker in Liedern" enthalten charakteristische Gedichte aus
allen Nationen. Sein „Cid", ein Epos in Liedern, ist eine Umdichtung spanischer Ro-
Manzen. Neben seinen meisterhaften Übersetzungen erheben sich Herders eigene Gedichte
nicht zu großer Wirkung. Unter ihnen treten als die bemerkenswertesten die Legenden
und Parabeln hervor.
Goethe, Johann Wolfgang (von), war am 28. August 1749 zu Frankfurt a. M.
geboren. Körperlich und geistig reich ausgestattet, einer gebildeten und wohlhabenden
Familie entstammend, stellt er sich und die Eltern uns mit den Worten vor: „Vom Vater
Hab' ich die Statur, des Lebens ernstes Führen, vom Mütterchen die Frohnatur und Lust
zu fabulieren.' Auf den Universitäten Leipzig und Straßburg studierte er die Rechte und
dichtete reizende Lieder. Manche der letzteren sind an die anmutige Pfarrerstochter
FriederikeBrioninSefenheim gerichtet, die er von Straßburg aus kennen lernte.
Wichtig für seine tiefere Einführung in das Wesen der Poesie wurde der engere persönliche
Verkehr, in welchen er zu Straßburg mit dem dort verweilenden, ihm an Jahren und
geistiger Reife überlegenen H erd er trat. Von der Universität in die Heimat zurückgekehrt,
ging er auf kurze Zeit nach Wetzlar, um am Reichskammergericht zu arbeiten. Dort be-
freundete er sich mit Lotte B uff, die sich bald nachher als Gattin mit dem hannöverschen
Gesandtschaftssekretär Kestner verband. Als er dann in Frankfurt als Rechtsanwalt
thätig war, flößte ihm die holde Patriziertochter Lili Schönemann eine Neigung ein,
die er in neuen köstlichen Liedern zum Ausdruck brachte. Immer ferner trat ihm der
juristische Beruf, immer mächtiger regte sich sein Dichtergeist. Vor allem offenbarte sich